Montag, 15. März 2010

Wahltag und andere Kuriositaeten

Liebe Leser, Freunde, Familie, Bekannte,

eigentlich war ja ein anderer Artikel angekuendigt, doch dieser muss zunaechst einem viel aktuelleren Thema weichen, denn:

Gestern wurde gewaehlt!

Es ging um die Plaetze im Senat, Parlament und Kammer. Die Praesidentenwahl findet etwa in einem Monat statt. Es wird spannend, denn Uribe hat das Gesetzt NICHT veraendert um sich ein zweites Mal wieder waehlen zu lassen, sodass die Karten neu gemischt werden koennen.

Erzaehlenswert ist beispielsweise der Wahlkampf, der vor etwa einem Monat began. So chaotisch bunt wie sich das Leben hier abspielt, vor allem auf der Strasse, so war auch der Wahlkampf. Man konnte beobachten wie nach und nach immer mehr Waende weiss grundiert und ein Kandidatenname und die Partei aufgepinselt, teilweise sogar die Gesichter der Politiker aufgemalt wurden. Und das an allen Ecken, an Haeuser, Stromleitungspfosten, Mauerstuecken, etc. Noch heute sieht man die Preisliste des Wanderzirkus der letztes Jahr hier seine Vorstellungen gab an einer Hauswand, denn um das „Wegmachen“ kuemmert sich (erstmal) wohl keiner...

Des Weiteren wurde alles zugeklebt mit Wahlplakaten. Viele Autos und Motorraeder waren mit Plakaten und Aufklebern bedeckt, die meisten Taxis bekannten sich ebenfalls zu einer Meinung dessen politischen Vertreter sie als Aufkleber auf der Windschutz- und Heckscheibe haben. Am besten gefiehlen mir die Autos, die in ihren Kofferraum ein bis zwei RIESIGE Boxen reinstellten. Viel zu gross fuer das Auto und den Kofferraum sowieso weshalb auch alles festgezurrt werden muss um das ganze Auto herum um dann mit offener Klappe den ganzen Tag durch die Stadt zu fahren und die Menschen am Strassenrand sowie die Verkehrsteilnehmer (besonders den direkten Hintermann...) lautstark mit Musik, Reden und politischen Parolen zu beschallen. Ausserhalb der Wahlkampfzeit fahren diese Autos uebrigens auch durch die Gegend, machen Werbung fuer Geschaefte oder lassen einfach Radio laufen.

Irgendwie bin ich dann auch einmal auf einer politischen Infoveranstaltung gelandet.

Mit einer halben Stunde Verspaetung gings los. Mich hat es einigermassen gelangweilt, was der Vertreter der konservativen Partei erzaehlte. Das gute an der ganzen Sache war, dass es am Ende fuer alle braven Zuhoerer und potentielle Waehler gratis Tamal und Cola gab – gut das keiner wusste, dass ich eh nicht waehlen darf:)

Der Wahltag selber war ebenfalls sehr interessant mitzuerleben.

Zunaechst einmal muss ich von einem kolumbianischen Gesetz berichten, welches mich hier nach der „Kommunalwahl“ jetzt schon zum zweiten Mal ueberraschte und erstaunte. „Ley Seco“, „Trockenes Gesetzt“ ist das Schlagwort was soviel bedeutet, dass das ganze Wochenende einschliesslich dem Wahlsonntag KEIN ALKOHOL ausgeschenkt noch verkauft werden darf. Und zwar in GANZ Kolumbien! Am Freitag- und Samstagabend war die Stadt am Abend wie ausgestorben. Kein Leben auf der Strasse wie sonst ueblich, keine sich mit immer mehr Bierflaschen fuellenden Bartische, kaum Musik. (Irgendwoher ertoent hier halt immer ein flotter Merengue, ein emontionaler Vallenato oder jugentlicher Reaggaton...) An dieser Stelle sei einmal gesagt, dass zumindest hier in Girardot und ich vermute auch in anderen Staedten und Doerfern des selben heissen Klimas sehr viel Alkohol getrunken wird, hauptsaechlich Bier. Zur Mittagszeit sieht man vereinzelt die ersten Menschen draussen im Schatten in den unzaehligen kleinen und groesseren Bars, Kneipen, Baeckereien, Laeden, etc oder einfach vor ihrem Haus, ihrem Laden oder ihrer Werkstatt bei ihrem Bier sitzen. Abends fuellen sich diese Orte dann, genauso wie die Tische mit den geleerten Flaschen. An den Wochenenden geht es sogar schon Vormittags los, dass liegt aber auch zum Teil daran, dass an den Wochenenden viele Einwohner aus Bogota nach Girardot fahren um sich vom stressigen Grossstadtleben am Pool und eben beim Bier zu erholen und zu entspannen. Diese „Wochenendtouristen“ sind meistens aus der Oberschicht, viele haben ein Haus in einem der vielen abgeriegelten und durch Sicherheitsdienst bewachten Wohnsiedlungen (mit Schwimmbaedern, kuenstlichen Seen, eigenen Golfplaetzen, Supermaerkten; die groesste Siedlung von allen („Penhon“) sogar mit eigenem Krankenhaus!)

Diese „sorglose“ Welt, in der man mit einem Golfplatzwaegelchen von seinem vollklimatisierten Haus mit 3 Hausangestellten runter zum (kuenstlichen) See faehrt um eine Runde mit dem Jetski zu drehen steht im kompletten Gegensatz zu den Familien, die nicht „nein“ sagen (koennen!), wenn die 14-jaehrige Tochter mit einem 25-jaehrigen Mann zusammen ist und ihr erstes Kind erwartet. Das die Tochter einen Mann hat bedeutet naemlich, dass er fuer sie zu sorgen hat und es so die Familie vielleicht etwas leichter hat jeden Tag genug Essen zu besorgen und eventuell irgendwann mal sogar soviel Geld um eins oder zwei der vielen Kinder in die Schule zu schicken, sodass sie im Alter von 15 Jahren nicht als Hausangestellte beispielsweise in der „Penhon“ arbeiten muessen. Einen Vater gibt es naemlich nicht mehr, der wurde vom Militaer erschossen beim Versuch eine Mautstelle zu ueberfallen. Die Geldnot hat ihn zur Verzweiflung gebracht.

In dieser Beschreibung uebertreibe ich in keinster Weise oder denke mir etwas aus. Solche und viele andere Schicksale habe ich hier direkt kennengelernt oder davon erzaehlt bekommen. Oft sind es ausweglose Situationen und die Chance fuer die Kinder dieser Familien irgendwann aus dem Teufelskreis der Geldnot, der mangelnden Bildung, Arbeitslosigkeit, des Diebstahls, der Drogenabhaengigkeit, des Strassenlebens, der gesellschaftlichen Inakzeptanz, etc auszubrechen ist so gering.

Die „Limpieza Social“ (dt. „Soziale Saeuberung“) ist da meiner Meinung jedoch keine Loesung und eine der erschreckensten Tatsachen, die ich hier bisjetzt erfahren habe. In einem anderen Artikel dazu jedoch mehr.

Eigentlich ging in diesem Artikel naemlich um die Wahlen und das dazugehoerige Alkoholverbot, das dazu fuehrte, dass in den Supermaerkten die Alkoholregale mit Polizeiband abgesprerrt waren. Ein sehr amuesanter Anblick.

Der Grund fuer diese Regelung ist ein sicherheitstechnischer. Die Regierung hat Angst, dass der Alkohol die Gewaltbereitschaft steigert und es schneller zu Anschlaegen, mehr aber noch zu spontanen gewaltsamen Attacken von Waehlern aufgrund von politischen Meinungsunterschiedenen oder Boykott-Gedanken kommt.

Am Wahltag jedenfalls konnte man ab 8 Uhr morgens waehlen. Ich begleitete meine Familie und Freunde, hoffte, dass ich mit meinen Dokumenten wenigstens zum „gucken“ reingelassen werde. Je nach Art des Dokuments (Alter der Ausstellung?) mussten alle an ganz verschiedene Orte in der ganzen Stadt verteilt. Es war alles recht chaotisch und viele Menschen waren unterwegs. Kaum aus dem Auto ausgestiegen kamen direkt Parteimitlgieder an, die noch einmal versuchten ihm ihre Meinung aufzuschwatzen. Ich kam mir wieder vor wie auf einem Basar. Wahlplakate und Banner wurden geschwenkt, Praolen gerufen, dauernd wurden einem Kaertchen und Flyer in die Hand gedrueckt, T-Shirts wurden verschenkt, dazu gab es viele Versprechen der „Superkandidaten“ um die unschluessigen unter den Waehlern noch kurz vorm Betreten des Wahllokals zu beeinflussen. Doch diese Leute gibt es zu genuege. Viele Trafen ihre Entscheidung wirklich erst kurz vorher, gemaess diesem Dialog: „Ich glaub fuer den Senat waehle ich „en blanco“ (also „weiss“, wie Stimme enthalten).“ – „Was? Nein, schaumal. Waehl doch .... , der ist super, der macht .... und will ....!“ – „Nagut (schulternzucken), dann waehl ich den auch.“

Bis ganz an den Wahltisch und die Wahlboegen bin ich nicht gekommen, doch ich konnte die Prozedur mitverfolgen. Viel Gedraenge und „Wahlkabinen“ bei denen die Geheimhaltung nicht UNBEDINGT gewaehrleistet ist. Tomke Anna, die Freiwillige, mit der ich gemeinsam fuer die Stiftung „Fundacion Vida Nueva“ arbeite hatte mehr gleuck und kam bis an die Wahltische. Sie erzaehlte mir dann, dass man oeffentlich einen Wahlbogen seiner Partei anfordern muss auf dem auf der Rueckseite gross und bunt das Parteilogo aufgedruckt ist. Es ist also schon vorher fuer alle umstehende klar, welche Partei man waehlt, lediglich den Kandidaten darf man dann „geheim“ bestimmen...

Weitere „Schattenseiten“ erfuhren wir von der Gastmutter von Anna. Ihr Mann ist selbst Politiker, doch sie muss fuer eine andere Partei waehlen - gegen ihren Ehemann - da es ihr Chef so verlangt. Waehlt sie eigenstaendig, wartet schon jemand anderes auf ihren Arbeitsplatz, jemand der sich an die „Regeln“ gehalten hat... sie arbeitet uebrigens in einem Krankenhaus.

Viele Menschen waehlen lediglich fuer ein anstaendiges Mittagessen, dass sie von der Wahlkampanie an diesem Wahlsonntag bezahlt bekommen, sobald sie ihnen ihre Stimme geben. Diese beiden Beispiele zum Thema Wahlfreiheit...

Zum Abschluss ein Zitat, nachdem eine alte Frau auf ihrem Stuhl sitzten an uns vorbeigetragen wurde:

„Zur Wahl holen sie sie raus, ansonsten sind die Grossmuetter im Haus wie Moebelstuecke.“

Bis bald,

Julian

Sonntag, 7. März 2010

Wie geht es weiter - im Projekt

Jetzt wird es dann aber auch mal wieder Zeit etwas von meiner Arbeit hoeren zu lassen.
Das Gartenbauprojekt laeuft soweit, bis auf die Tatsache, dass ich die meiste Zeit alleine arbeite und die Arbeit mir deshalb von Zeit zu Zeit einfach ueber den Kopf steigt. Langweilig wird mir deshalb jedoch nie und zu sehen wir das eigene Gemuese und Obst gedeit, macht einen ebenfalls froh. Ausgesprochen gut ist die Ernte der Tomaten ausgefallen, schon ueber 150 Stueck konnten geerntet werden.





Des Weiteren gab es Salatgurken, verschiedene Kraeuter, Kohl, Oregano und Pfefferminze (Foto!).





Heran wachsen momentan Paprika- sowie Chilischoten, „Noni“, Maracuya und Lulu, eine koestliche Frucht fuer die Zubereitung von Saft, typisch kolumbianisch.


Da es zwecklos ist, die Obdachlosen des Heims zur regelmaessigen Arbeit auf dem Feld zu animieren, genauso wie die Frauen des Viertels, haben wir die Projektausrichtung etwas veraendert.

Das Feld, sowie es bereits aufgebaut wurde mit seiner staedtischen Landwirtschaft bleibt erhalten und produziert weiterhin fuer die Kueche des Heimes. Des Weiteren dient es uns als Testfeld auf dem wir experimentieren, welche Pflanzen unter welchen Bedingungen gut gedeien und Fruechte hervorbringen.

Mit dem gelernten Wissen und der Erfahrung fangen wir jetzt an Beete in den Hauesern des Armenviertels anzulegen um die Familien bei der selbstversorgung zu unterstuetzen. Das Ziel ist es, dass sich die Menschen aneignen regelmaessig und organisiert ihr eigentes Gemuese anzupflanzen um Geld einzusparen und sich selbstversorgerisch (zumindest zum Teil) die Ernaehrung zu sichern. Bei den noetigen Materialien sowie mit der Begleitung und Betreuung (Regelmaessig Besuche und Tipps à der mobile Gaertner;) )jedes Beetes durch unsere Praxiserfahrung unterstuetzen wir die Familien dann. Die Gegenleistung ist, dass die Haelfte der Erzeugnisse dann in die Kueche der Stiftung geht fuer die Obdachlosen, der eigentliche Ursprung des Ganzen.

Das waere neben dem Pflanzgarten, das zweite Teilprojekt.

Das dritte Teilprojekt haben wir auch erst vor kurzem begonnen. Es geht um „Arboles Nativos“, also Baeume, die ihren Ursprung in dieser Region Kolumbiens haben. Ein grosses Problem ist naemlich, dass in den Staedten, so auch in Girardot, groesstenteils eine Baumsorte gepflanzt wird, die nicht einmal Suedamerikansicher Herkunft ist, sonder asiatischen Ursprung hat. Eine Modeerscheinung, die sich durchgesetzt hat, doch dieser Baum ist nicht sehr resistent und zerstoert die Erhaltung nativer Pflanzenarten.

Aus diesem Grund hat sich eine Gruppe „Ambimentalisten“ zusammengefunden, unter anderem mein Wanderfreund Guillermo, die von nun an mit der Fundacion Vida Nueva zusammenarbeitet und mit mir auf dem Feld verschiedene native Baeume grosszieht um diese dann zu verkaufen oder zu verschenken um so einen Teil der Kultur aus oekologischer Sicht zu bewahren.



Die Samen sammeln wir in den Waeldern und Bergen rund um Girardot unter anderem waehren unserer Wanderungen. So wird eine meiner Freizeitbeschaeftigungen jetzt sogar Teil meiner Arbeit, ausserdem haben ich Unterstuetzung auf dem Feld.

So kam es, dass an einem Sonntag, organsisiert von Guillermo, eine disziplinierte Gruppe Pfadfinder auf dem Feld aufkreuzten und den ganzen Tag ueber tuechtig halfen Erde zu filtern, zu mischen und in Plastikbeutel zu fuellen. Die Arbeit war in ihrem (oekologischen) Sinne, denn an diesem Tag wurde der Anfang fuer das „Vivero, Arboles Nativos“ gemacht und wir konnten ueber 200 Baueme saeen. Auch in Zukunft ist geplant, dass regelmaessig eine Gruppe von Pfadfindern auf dem Feld mithilft, bei der Pflanzung der Baueme sowie auch in den anderen Teilprojekten.





Der Gruppenfuehrer interessierte sich sehr fuer den Freiwilligendienst, den ich mache und lud mich auf ein „Gespraech“ ein, um mehr ueber mich und meine Arbeit zu erfahren.


Was es mit diesem Gespraech besonderes auf sich hatte, erfahrt ihr im naechsten Artikel.