Montag, 26. Oktober 2009

An alle Leser

An alle Leser moechte ich an dieser Stelle nochmal meinen Dank aussprechen. Mich freut euer Interesse an den Beschreibungen meinen Erfahrungen. Gerne koennt ihr die Blogadresse an Interessierte weitergeben. Dieses Interesse motiviert mich natuerlich dafuer zu sorgen, dass dieser Blog moeglichst oft aktualisiert wird. Zur Zeit ist dies jedoch etwas schwierig, da ich immernoch kein zuverlaessiges Internet zu Hause habe...
Bei Fragen oder Anmerkungen einfach einen Kommentare schreiben. Es gibt zu allem noch viel mehr zu erzaehlen !J Auf Wunsch schreibe ich also zu einem bestimmten Thema gerne mehr oder erklaere Dinge ausfuehrlicher.
Bis bald!!
PS.: Auf Fotos muesst ihr zunaechst verzichten, da wie schon erwaehnt meine Kamera geklaut wurde (samt den Bildern, die nicht auf dem PC waren und durch den Virus geloescht wurden...) Waehrend der Uebergangszeit bis zur naechsten Digitalkamera (?) schiesse ich mit einer antiken Spiegelreflex, die mir geliehen wurde. Macht aber ganz gute Bilder...

Festival de Turismo

Am „Wochenende" fand das "Festival de Tourismo" statt von Mittwoch bis einschliesslich Montag. Montag war Feiertag. Viele Feiertage, die unter der Woche sind (ausser bei Weihnachten und Ostern und so) werden immer auf den naechsten Montag gelegt, sodass es ein langes Wochende gibt. Das heisst dann "Puente". Ein Teil des Festivals ist die Wahl zur "Reina del Turismo", so eine Art Miss-Wahl. Was ich von den Festivitaeten mitbekommen habe war ein (ziemlich spiessiges) Fruehstueck im Freien mit den "Koeniginnen". Wir sassen also an Tischen auf so einem riesigen edlen Freibadgelaende unter Palmen. Die Koeniginnen kamen eingelaufen, wir haben alle gefruehstueckt, danach sind die Koeniginnen wie bei einer Misswahl/Modenschau nochmal schaugelaufen und haben kuenstlich in die Kameras gelaechelt, danach war das ganze zu Ende. Nicht sehr spektakulaer, es waren auch hauptsaechlich aeltere Leute dort. Meine Mutter hatte mir das Ticket besorgt und es war gleichzeitig auch eine Wohltaetigkeitsveranstaltung.
Am Freitag hatte ich mit einem Wachmann, der neben dem Feld arbeitet und mit dem ich ins Gespraech gekommen war, verabredet um etwas zu trinken. Wir trafen uns auf dem Platz im Stadtzentrum au dem der Grossteil der Veranstaltungen stattfand. Es stand Folkore auf dem Programm. Die Kolumbianer, auch die juengeren sind total begeistert von traditionellen kolumbinaischen Taenze und Musik, die bei uns als „Schlager", „Schnulze" und „Evergreen" abgestempelt wird. Es war aber trotzdem interessant und schoen anzusehen. Es waren unheimlich viele Menschen auf dem Platz. Wir tranken Bier und probierten alle moeglichen Arten von „Comido Rapido" Fastfood. Ueberall wurden Fleischspiesse, gegrillte Maiskolben, frisch gemachte Chips, Wuerstchen, Empanadas (mit Reis-Fleisch-Gemuese gefuellte Maistaschen, fritiert), Eis, Fruchtsaefte und andere Suessigkeiten verkauft. Permanent wird einem gekuehltes Bier und Wasser von privaten Haendlern angeboten die einfach darauf angewiesen sind jede Luecke fuer einen Zusatzverdienst ausnutzen. Spaeter am Abend spielte dann noch eine Band und es gab Feuerwerk. Jedoch „typisch" kolumbianisch nicht alles auf einmal sondern ueber 1 oder 2 Stunden verstreut, sodass das Programm auf der Buehne immer mal wieder unterbrochen werden musste. Auch wurde nichts abgesperrt, die Leute die um den Abschussplatz standen schaetzen schon selber ein, wie weit sie wegstehen mussten. Der eine oder andere Fehlzuender der sich in einer lauten Explosion mit viel Rauch ausserte brachte die Leute schon dazu genuegend Abstand einzuhalten – im eigenene Interesse.
Am Samstag sollte eine grosse „Cabalgata" stattfinden, also eine Art Festumzug bestehend aus Reitern. Etwa 3 Stunden spaeter als erwartet kam dieser Festumzug an unserem Haus vorbei. Ich hatte Mittags geschlafen, wurde dann von Amparo geweckt, schmiss mir irgendetwas ueber, schluepfte in die Schuhe und lief raus. Draussen reiteten unzaehlige Reiter in festlicher Reitergarderobe (Sombrero, Hemd, Poncho, Reiterstiefel, weite Reiterhose,etc.) vorbei, die meisten mit Dosenbier oder gleich mit einer Flasche Rum oder Aguardiente in der Hand, teilweise versteckt in einer diskreten Ledertasche. Es war ein lustiger Anblick. Es wurde Musik gespielt. Mein Bruder und Freunde von ihm nahmen auch an dem Umzug teil. Fuer die Pferde muss der 3-4 stuendige Umzug durch die Stadt in der prallen Mittagssonne sehr anstrengend sein. Immer wieder konnte man beobachten, dass ein Pferd einfach keine Lust mehr hatte/nicht mehr konnte. In dem Fall wurde geduldig auf das Pferd eingeredet, gestreichelt, mit Wasser abgespritzt und mit etwas Dosenbier getraenkt...dann gings weiter. Am Abend habe ich erfahren, dass sogar ein Pferd vor Ueberanstrengung gestorben ist. Auch fuer die Reiter war es nicht unbedingt ein zuckerschlecken. Mein Bruder und seine Freunde klagten am Abend sehr ueber Unterleibsschmerzen:)
Hinter der Reiterschaft foglte eine lange Kette von alten, zu den Seiten offenen Bussen, die gefuellt waren von Touristen. Es war eine Moeglichkeit am Umzug ohne Pferd teilzunehmen. Die Leute sassen auf den Daechern und in den langsam hinter den Pferden fahrenden Bussen und feierten wild. Es war wie Carnelval. Es wurde Alkohol getrunken, getanzt, mit Wasser und Spruehschaum gespritzt. Es war eine permanente Schlacht innerhalb der Busse, zwischen den Bussen untereinander und auch mit den Zuschauern am Strassenrand die sich ebenfalls mit Wasserbehaeltern vorbereitet hatten. Ich kann darueber so detailliert berichten, da naemlich, als dieser Zug vorbei fuhr eine Frau, die auch auf dem Feld arbeitet zu mir kam und mich mit in ihren Bus zog, somit war ich (total ueberrumpelt, so wie ich grade war, direkt nach dem Mittagsschlag mitten im Getuemmel ) dabei. Es war eine lustige Fahrt. Irgendwann fragte mich jemand, ob ich denn wuesste wie ich wieder nach Hause komme. Mir kam die Frage irgendwie unsympatisch vor und ich log das ich das natuerlich wuesste, da ich immer mit dem Fahrrad unterwegs sei. Je laenger wir fuhren, desto unbekannter wurde mir die Gegend jedoch. Es waren Teile des Stadtrandes, die ich wirklich noch nie zuvor gesehen hatte. Der Festzug endete dann irgendwo... Busse Pferde und Motorrader mit lautem Gehupe mischten sich und verteilten sich in alle Richtungen. Ich nahm ein Taxi und fuhr nach diesem kleinen ungeplanten aber doch spassigen Ausflug nach Hause.
Ich schaute nocheinmal bei dem Feld vorbei und machte mich dann auf den Weg zu der „Chefin" des Projektes, die mich zum BBQ eingeladen hatte. Danach, sehr gesaettigt (ich musste alles probieren, es war aber alles auch sehr koestlich) ging ich mit Felipe und ein paar seiner Freunden in eine Bar in der wir den Rest des Abends verbrachten.
Den Sonntag (ich hatte offiziell FREI) genoss ich sehr auf entspannende Art und Weise bis ich mit Tomke ins Zentrum fuhr. Cesar studiert „Internationale Kueche" und hatte uns zu einer Art Kochveranstaltung eingeladen. Wir assen also verschiedene kolumbianische Speisen, tranken Fruchtcocktails und Cafespezialitaeten. Das Ende unseres Heimweges ist ja bekannt...

Raubueberfall

Mein erster (und hoffentlich letzter) Raubueberfall: Tomke, die andere Freiwillige, die im gleichen Projekt arbeitet, und ich waren am Sonntagabend zu Fuss auf dem Weg vom Stadtzentrum nach Hause. Wir waren fast an ihrem Haus angekommen und konnten schon die Leute sehen, die in der Strasse vor ihren Haeusern sassen, keine 100 Meter enfernt.
An einer etwas dunkleren Strassenecke passierte es dann: Ein Motorrad mit zwei dunkel gekleideten Maennern kam ploetzlich wie aus dem nichts von hinten, ueberholte uns und schnitt uns den Weg ab. Einer der Maenner richtete eine Pistole auf uns, mit dem Ruecken zu den Leuten in der Strasse. Es ging alles sehr schnell und ich war ziemlich geschockt,so dass ich einfach keine Kontrolle ueber mich hatte. Blitzschnell haben uns die Maenner abgetastet, mir mein Handy aus der Hosentasche geraubt und mir meine Umhaengetasche abgenommen. Staendig die Waffe auf Kopf und Koerper gerichtet. Ich habe mich weder gewehrt noch geschriehen, auch Tomke nicht, sie hatte sich jedoch etwas gewehrt, als der unbewaffnete Mann ihr das Handy abnehmen wollte. Ich meinte sie soll alles hergeben, da ich nur die Waffe vor Augen hatte. Tomke hat sich geweigert ihr Handy herzugeben und fing an sich zu wehren, bis eine Sirene losging. Einer Nachbarin hatte den Vorfall bemerkt. „Tomke, gib einfach alles hier!" Das war das einzige was ich sagen konnte. Ich hatte enormen Respekt vor der Waffe und habe das Gefuehl gehabt, dass sie jeden Moment auf uns schiessen, als Tomke nicht nachgab. Ich habe mich danach zunaechst schlecht gefuehlt, da ich einfach nichts unternommen habe, doch irgendwann wurde mir klar, dass es das beste war. Ich war sehr veraergert ueber die gestohlenen Sachen, doch man kann nie wissen zu was solche Menschen faehig sind, ob ihnen das Leben oder das Wohlergehen anderer fuer Geld und Wertsachen ueberhaupt etwas Wert ist. Sie haben mir das Handy aus der Tasche und meinen Beutel geklaut. In dem war meine Kamera+Speicherkarte, Kleingeld, die Creditkarte und ca. 100 Euro Bargeld von Anna (wir waren vorher noch am Bankautomaten,w as natuerlich daemlich war…), mein Worterbuch und ein kleines Buch in das ich alle moeglichen Sachen hineinschreibe. Ueber das Buch bin ich glaube ich am traurigsten. Es ist ein grosser individueller Wert. Es befanden sich dort neue Vokalbeln, Eindruecke, Skizzen von Strassenecken mit wichtigen Laeden, Telephonnummern und Adressen, Namen und Erinnerungen. Alles der letzten 2 Wochen (davor hatte ich ein anderes Buch). Auch bin ich frustriert ueber den Verlust von vielen Fotos, vor allem von Bildern der Feldes und der Arbeit, die ich angefangen habe zu sammeln fuer eine Praesentation ueber die Entwicklung des Projekts, die ich am Ende des Jahres vofuehren soll. Trotz allem kann man jetzt kaum mehr was an den Verlusten aendern und ich bin froh, dass wir nicht irgendwie verletzt wurden. „Die materiellen Dinge kann man (meistens) ersetzten, das Leben nicht", das haben uns auch viele Leute danach gesagt.
Erst nach dem das Mottarrad weggefahren war kamen langsam Leute aus der Nachbarschaft zu uns und fragten was passiert war. Es sassen ja sogar waehrend das Ueberfalls Leute vor ihrem Haus, nicht weit enternt, doch keiner begriff, das wir ueberfallen wurden…es war schwer das zu verstehen und mich nervten diese Leute in dem Augenblick einfach nur, die nichts unternommen hatten und jetzt angelaufen kamen um sich (schaulustig) zu erkundigen was den los war.
Leider hatte der Ueberfall auch noch zur Folge, dass meine Mutter und vor allem Felipe zwar zunaechst etwas erschrocken aber beinahe zufrieden erschienen, als ich ihnen davon erzaehlte. Wir waren naemlich wegen der Geschichte mit Cesar immer noch etwas im Konflikt, jedoch unausgesprochen, da es mit keinem von beiden moelgich ist ordentlich zu diskutieren. Ich wusste es genau wie sie auf die Geschichte reagieren wurden und sie haben es tatsaechlich geschafft, dass ich "Angst" davor hatte, es ihnen zu erzaehlen. Ich scheute mich davor nach Hause zu kommen wie ein Junge,der etwas augefressen hat, obwohl ich grade das erste Mal in meinem Leben von einer Waffe bedroht wurde und meine Leben gewissermassen in Gefahr war. Was ich in dem Moment eigentlich gebracuht haette war ein bisschen Mitgefuehl, doch das gab es nicht. Es hiess nur "Weisst du noch, was wir dir immer gesagt haben?" , "Wir haben dich ja gewarnt" , "Und, hattest du deine Trillerpfeife dabei?" und ich sah in selbstgefaellige, rechthaberische Gesichter. Es war grauenhaft. Ich versuchte noch mich dagegen zu wehren und Einspruch zu erheben, doch ihre Meinung war absolut festgefahren. Spaeter wurde einfach nur noch sachlich darueber geredet und andere Ueberfallgeschichten wurden erzaehlt. Wie es mir geht wurde nicht mehr gefragt. Ich ging ins Bett und malte mir aus, was man haette alles machen koennen, was aber auch alles noch haette schlimmeres passieren koennen, waehrend man sich zur Wehr setzt. Mit wirren Gedanken und gemischten Gefuehlen schlief ich ein. Auch am naechsten Tag fuehlte ich mich nicht besser. Es war kein klar zu definierendes Gefuehl und auch kein sehr ausgepraegtes. Es lag wahrscheinlich daran, dass keiner auf mein Gefuehl hier eingegangen ist. Ich hatte unterschwellige Angst und war sehr verwirrt ueber das was passiert ist. "Ich bin ueberfallen worden und mir wurde eine Waffe an den Kopf gehalten!!", dachte ich mir immer wieder panisch, doch im gleichen Moment verschwand dieses Gerfuehl wieder in der Tiefe und wurde verdraengt durch irgendetwas total nuechternes, was meine Mutter mir sagte wie z.B. "musst du heute gar nicht zur Arbeit?" Auch der Aerger darueber , dass meine Mutter jetzt auch noch einen guten Grund hat, mir gewisse Dinge zu verbieten und mich womoeglich "einsperren" koennte aergerte mich, lenkte mich aber gleichzeitig auch irgendwo ab. Trotzdem steckte noch Panik tief in mir drin, ich fuehlte mich unterschwellig sehr mies. Es war ein betaeubendes Gefuehl, ueber das ich mit keinem reden konnte um es evtl loszuwerden.
Man kann jetzt auch nicht sagen, dass man hier jeden Tag Gefahr lauft erschossen zu werden! Normalerweise passiert so etwas sehr selten. Es kamen viele Faktoren zusammen: Es waren grad die Festtage in Girardot (siehe dazu: „Festival de Turismo") fuer die superviele Touristen in die Stadt gekommen sind und mit den supervielen Touristen auch viele Raeuber und Diebe, die tatsaechlich zu Festtagen in verschiedene Staedte fahren, da dort Menschenmassen und unaufmerksmae Touristen mit viel Geld eine einfach Beute darstellen. Ausserdem waren wir mit unserer Statur und Haarfarbe sehr auffaellig und stellten Touristen mit noch mehr Geld dar als die meisten, da (so wird es ja staendig angenommen) aus den Vereinigten Staaten UND wir waren "relative" spaet unterwegs auf einem kleinem Strassenstueck, dass die Bewohner der Viertels, auch wenn es das Reichenviertel ist, stets meiden. Das wussten wir natuerlich nicht und hatten noch nicht den noetigen Blick fuer einsame, gefahrlich Ecken, zumal wir von der Stelle des Ueberfalls schon die Leute vor Tomkes Haus in 100 Meter Entfernung haben sitzten sehen. Da denkt man doch, man ist so gut wie sicher…
Ich lenkte mich also am Vormittag damit ab Gitarre zu ueben und zu zeichnen. Ich hatte mir in den letzten Wochen Bleistifte gekauft, bin aber noch nciht viel dazu gekommen. Ich zeichnete den Revolver, das einzige an das ich mich bildlich errinern konnte. Ich habe kein Bild von den Gesichtern, der Kleidung oder dem Motorrad vor Augen, doch den Revolver konnte ich, obwohl ich eigentlich gar nicht weiss, wie die aussehen, realistisch darstellen.
Irgendwann fuhren wir in so ein Office zur Meldung gestohlener Dinge. Da der Montag jedoch Feiertag war befand sich dort nur wenig Belegschaft. Und dieses geringe Personal hatte alle Haende voll zu tun mit den Opfern der vergangenen Nacht. Es war die letzte Nacht des mehrtaegigen "Festival de Turismo" und es gab mehrere Tote im Strassenverkehr. Mit Alkohol am Steuer nimmt man es naemlich hier ueberhaupt nicht ernst…
Wir fuhren also wieder nach Hause und ich fuehr nach dem Mittagesen zur Arbeit. Das war euch etwas frustrierend, da wir mal wieder keine anderer ausser mir und einer Senora (Emma) da war. Und ich habe die Verantortung aufgetragen gekriegt mich darum zu kuemmern, dass das mit der Gruppenartbeit klappt. Es setzte mich also total unter Druck, dass keiner da war, wofuer ich verantwortlich war, dass ich nicht wusste was wir als naechstes machen, da ich naemlich keine Ahnung habe, wann beispielsweise die Pflanzen umgetopft werden (ich habe zwar Leute, die ich anrufen kann, doch ich es ist schwer das Gaertnerwissen mit seinem schwierigen Vokabular uebers Telephon zu vermitteln) und dass ich mich komplett neu organisieren muss, da ich keine einzige Telephonnummer mehr habe. Ich konnte also auch der Senora Emma nicht sagen, was wir machen koennen, was sie jedoch von mir erwartete… auch beschweren sich die anderen, wenn sie kommen, dass sie so gut wie alleine sind und das die Organisation schlecht ist und das das Projekt den Bach runter geht und so weiter und so fort… aber am Samstag werden wir uns alle treffen und das ganze besprechen, ich hoffe danach lauft der Laden etwas besser.

Fleischtaxi

Eine recht komische Erfahrung machten wir kuerzlich als wir vor einer Baeckerei sassen. Ein Taxi fuhr vor und neben dem Taxifahrer stiegen zwei Maenner in weissen, voellig blutverschmierten Klamotten aus. Ein kurzer Schreck, dann war es jedoch klar - neben der Baeckerei war eine Schlachterei. Doch das war noch nicht alles und wir bekamen doch noch einen Grund uns sehr zu wundern. Der Taxifahrer oeffnete den Kofferaum und die beiden Maenner trugen nach und nach in grossen Teilen eine ganze frisch geschlachtete Kuh aus dem Kofferaum in ihren Laden. Das Fleisch lag samt Knochen einfach so in dem Auto. Das einzige was fehlte war der Kopf, ansonsten haette man das Tier wie ein Puzzel wieder zusammensetzten koennen. Als die Maenner fertig fahren, nahm der Taxifahrer ausdruckslos die Matte des Kofferaum und kippt das sich angesammelte Blut auf die Strasse und fuhr davon, zum naechsten Kunden. Ich fragte mich, was so ein Transport mit dem Taxi wohl extra kosten wuerde. Fuer uns war es einfach alles andere als gewoehnlich und eine lustig-kuriose Erfahrung.

Klischee-Kolumbien

Am letzten Wochenende habe ich den Bruder von der Freundin meines Gastbruders kennengelernt. Er arbeitet fuer das Militaer in Kolumbien und hatte grade Urlaub. Seine Arbeit ist genau das, wofuer Kolumbien „bekannt-beruechtigt" ist und was viele Menschen sich unter Kolumbien vorstellen. Er ist Kommandant einer von vielen kleinen Einsatzgruppen die im Urwald zur Bekaempfung der Geruilla eingesetzt werden. Sein Einsatzgebiet liegt nahe der Venezualischen Grenze. 4-5 Monate am Stueck ist er mit seiner 15 koepfigen Gruppe von Wehrdienstleistenden (!) im Urwald unterwegs um Guerilla-Truppen, Koka-Felder und als Farmen verdeckte Chemie-Labors aufzuspueren. Schwer bewaffnet, in Tarnklamotten tragen die Soldaten alles was sie benoetigen in ihrem Rucksack, inklusive Haengematte. Nachts sind sie im Einsatz und streifen durch die Waelder. Am Tag werden die Haengematten aufgespannt und es wird ausgeruht, jedoch mit geladener Waffe, staendig auf der Hut. Nachschub an Nahrungsmitteln, Material gibt es alle paar Wochen per Hubschrauber. Nicht selten kommt es zu gefaehrlichen Schiessereinen mit der Guerilla. Ich habe Videos von Einsaetzen auf seinem Handy gesehen und das Szenario erinnerte an Buergerkrieg, Haueser-und Dschungelkampf. Erst 25 ist der Bruder von Nini, doch hat er die Verantwortung ueber 15 junge Wehrdienstleistende. Erst kuerzlich ist einer von seiner Gruppe waehrend einer Schiesserei ums Leben gekommen. Fuer mich schien die ganze Sache im ersten Moment sehr unrealistisch, grade deshalb weil es eigentlich nur „Vorstellungen, eigentlich Vorurteile" waren, die ich ueber die Situation in den Krisengebieten hatte. Diese Vorurteile wurden jetzt jedoch bestaetigt und es war ein komisches, sehr unangenehmes Gefuehl zu wissen, dass in vielen Gebieten Kolumbiens stets der bewaffnete Konflikt herrscht. Auch das der Bruder, der den Sonntagnachmittag mit uns in Badehose im Pool der Finca genoss in ein paar Tagen wieder im Urwald fuer sein Land und um sein Leben kaempft.

"Ein typisch durchschnittlicher Arbeitstag"

Mein Handywecker klingelt zwischen 6 und 6:30. Oft bin ich schon vorher halb wach. Das ist der Fall, wenn die Papageien vor meiner Zimmertuer ausgesprochen munter sind und schon vor Sonnenaufgang anfangen rumzuschreien und sich gegenseitig spanische Schimpfwoerter an den Kopf zu werfen. (deusche haben sie bis jetzt noch nicht verinnerlicht...) Sollte das nicht er Fall sein reisst mich der Wecker aus einem Schlaf, der oft nicht wirklich tief aber immer sehr „schwer" ist. Aufgrund der Hitze fuehlt man sich wie eine Eidechse im Winterschlaf, nur andersherum. Es dauert eine Weile bis der Kreislauf hochgefahren ist. Ich wanke ins Bad vorbei an den Papageien, die munter fragen „¿Tiene Cacao?" – ich antworte nicht. Im Bad erwartet mich manchmal die eine oder andere „Cucaracha". Die Dusche hat nur einen Hahn, zunaechst etwas verwunderlich, doch aufgrund der Hitze voellig ausreichend. Am Abend wuenscht man sich das Wasser eher noch kaelter! Meistens schlafen meine Mutter und mein Bruder noch, Amparo, die Hausangestellt, die mit uns im Haus schlaeft ist jedoch schon wach. Wir machen gemeinsam Fruehstueck: Ei, Brot (manchmal mit Marmelade), Kaffee (frisch geliefert von Juan Valdez;) ) Waehrend des Fruehstueckes steht auch meine Mutter auf. Es dauert nicht lange bis ihr Handy oder das Fukgeraet klingelt. Das erste Mal von durchschnittlich 30 Mal pro Tag...
Mit dem Fahrrad, saemtliche Schlafloecher mittlerweile routiniert umfahrend, mache ich mich auf dem Weg durch die Stadt zur Arbeit. Die Luft ist morgens noch sehr angenehm, auch sind noch nicht viele Menschen auf der Strasse unterwegs. Waehrend meiner Fahrt merke ich dann, wie das taegliche, quirrlige Treiben der Stadt langsam beginnt. Schueler und Studenten stroemen in ihre Gebauede, an vielen Strassenecken gibt es Kaffee und „Empanadas". Das letzte Stueck meines Weges geht es steil bergab runter zum Rio Magdalena und runter ins Armenviertel. Ich treffe Senora Emma auf dem Feld, sie ist schon weit ueber 70 und hat im letzten Jahr zusammen mit Marco und anderen Frauen das ehemalige Fabrikgelaende aufgeraumt sodass dieses Jahr Pflanzen angelegt werden konnten Ich schmiere mich ein mit Sonnencreme und Mueckenmittel, dann giessen wir die Pflanzen mit im Deckel perforierten Plastikflaschen. Nach etwa einer Stunde begleite ich Emma nach Hause und bringe die Werkzeuge mit der Schubkarre von ihrem Haus (in dem wir das Zeug lagern, damit es nicht geklaut wird) zum Feld (etaw 2 Blocks). Auf dem Weg treffe ich John. Er arbeitet neben unserem Feld fuer einen privaten Sicherheitsdienst und bewacht ein kleines E-Werk. Er ist sehr gespraechig und bringt mir immer wieder neue Woerter bei. Auf dem Feld fange ich dann mit der richtigen Arbeit an. Ich ueberlege mir im Prinzip nicht vorher, was ich machen werde, da es immer etwas zu tun gibt. Die Gartenarbeit besteht aus Unkraut jaeten, saehen, umtopfen, Erde filtern/mischen, Pflanzen stabilisieren und mehr. Handwerkliche Arbeiten waren bis jetzt das bauen von Hochbeeten, einem Abwasserkanal und zwei Leitern, das Errichten von Stuetzpfosten aus Bambus fuer die „Sonnensegel", das Absichern des Gelaendes mit Stacheldrahtzaun oder einfach nur Aufraeumarbeiten. Ich versuche ein bestimmtes Pensum an anstehenden Arbeiten zu schaffen. Manchmal kommen eben auch Teilnehmer des Kurses und helfen mit, bringen Pflanzen, Samen oder andere Materialien. Je nachdem, ob ich noch Besorgungen in der Stadt (vor 12!) machen muss (neue Werkzuege oder Materialien kaufen, Handy aufladen, Internet, Supermarkt,etc.) fahre ich zwischen 11 und 12 nach Hause. Die Hitze ist mittlerweile unertraeglich, folglich fuehrt zuhause der erste Weg zum Kuehlschrank um ein paar glaeser Wasser zu trinken, der zweite fuehrt unter die DuscheJ Gegen 13:00 gibt es Mittagessen. Beispielsweise eine dicke Suppe aus roten Bohnen, danach Reis mit einem Stueck gebratenem Rindfleisch, fritierte Platana (aehnelt banane) und Avocado. Dazu gibt es Jugo (frischer selbstgemachter Fruchtsaft). Bei der Hitze einfach das Groesste!!! Mora, Curuba, Uva, Lulu, Maracuya, Tomate, Guanabana, Guayava, undsoweiterundsofortJ Meistens war Teresa (ab und zu mit Felipe) auf der Finca. Nach dem Essen mache ich manchmal Mittagsschlaf oder ich fahre (seit neuestem) ins Haus der Kultur, mache Musik von 14 bis etwa 15 Uhr und fahre danach weiter zur Arbeit. Die Hitze am Nachmittag ist noch enorm und „peitscht" einem auf der Fahrt wie heisser Wuestenwind ins Gesicht, so dass einem die Augen schmerzen. Ich war zwar noch nie in der Wueste, einen grossen UNTerschied zu dem Klima hier duerfte es allerdings nicht machen.. Viel schafft man nachmittags demnach nicht mehr. Ab halb 5 muessen die Pflanzen wieder gegossen werden, sodass ich vor 6, also vor Anbruch der Dunkelheit, von dem Feld loskomme. Vor dem Raubueberfall war ich teilweise bis 7 oder halb 8 auf dem Feld bzw bei Esperanza zu Hause, doch meiner Mutter ist es zunaechst lieber, dass ich nicht so „spaet" heimkomme. Gegen 7 gibt es Abendessen. Danach habe ich Zeit fuer mich. Entweder falle ich muede ins Bett, hoere Musik oder ich lese, uebe Gitarre, gehe ins Internet (sofern dies moeglich ist), verbringe Zeit mit meiner Familie, schaue fern,... jeden Mittwoch habe ich Gitarrenstunde. Unternehmungen mit Freunden finden dann eher am Wochenende statt. ¡Buenas Noches!
(Auch wenn ich wahrscheinlich viele Detaills vergessen habe – dies ist ein typischer Arbeitstag hier in Girardot, Kolumbien.)

Einige Problemchen...

Lange hat es gedauert und aus dem angekuendigten Monatsrueckblick wird eben jetzt so etwas wie ein Zweimonatsrueckblick. Die lange Wartezeit bis zu diesem Eintrag laesst sich auf den Virus schieben, der den einzigen PC im Haus restlos zerfressen hat. Saemtliche Dateien und installierte Programme wurden geloescht. Die Folgen waren in vielerlei Hinsicht unangenehm. Erstens war meine Mutter tagelang sehr veraergert war wegen persoenlicher Dateien und einiger teurer Programme. Dieser Aerger wirkte sich natuerlich auch auf mich aus, vor allem, da sie wohl vermutete, dass ICH die Viren "aus Deutschland" eingeschleppt habe. Zweitens blieb der PC die naechsten Tage aus, da ein "Ingeneur" kommen sollte, der dann den PC formatieren sollte. Ich glaube meine Familie versteht nicht unbedingt viel von Computern, denn als der "Fachmann" kam wurde er unter anderem darum gebeten Verknuepfungen von Programmen auf dem Desktop zu erstellen… Bis der PC wieder funktionsfaehig war dauerte es jedoch ungefaehr 2 Wochen. Als ich dann das erste Mal ins Internet gehen wollte entdeckte ich 3 Profile. 2 waren mit Passworten gesichert. Das Profil "Invitado" war anscheinend fuer mich gedacht. Ich oeffnete es, konnte jedoch nicht ins Internet gehen. Ich dachte mir nichts dabei, da hier oefter mal das Internet nicht funktioniert, genauso wie mehrmals die Woche der Strom ausfaellt. Als ich meinen Bruder jedoch die naechsten Tage im im Internet surfen gesehen habe, versuchte ich es danach aufs neue – doch das Internet schien fuer mein Profil gesperrt. Irgendwann kam mein Bruder an und oeffnete das mit Passwort gesicherte Profil meiner Mutter mit den Worten: "Sei vorsichtig! Und lade nichts runter! Keine Skype!" Seit dem Raubueberfall (siehe Blogeintrag: "Raubueberfall") behaldelt er mich leider noch mehr wie ein Kind. Ausserdem kann man an diesem Beispiel schon erkennen wie hier mit Problemen umgegangen wird. Es wird (zumindest in meiner Familie) einfach NICHT direkt drueber geredet. Stillschweigend wird ein Passwort eingerichtet was soviel heisst wie: „Lieber Julian, wir sind der Meinung, dass du die Schuld an dem zerstoererischen Virus traegst und sind sehr veraergert ueber den Verlust unserer Daten und teueren Programme. Aus diesem Grund wollen wir nicht, dass du weiterhin unser Internet nutzt!!" Natuerlich wuerde keiner es so dirket formulieren, aber hier wurde einfach GARNICHT darueber geredet.
Zu der Mentalitaet der Menschen, woweit ich sie in den letzten zwei Monaten kennenlernen konnte spaeter mehr.
Ich konnte also endlich ins Internet. Es war schon hoechste Zeit, doch Gelegenheit meinen Blog zu aktualisieren blieb nicht. Auch nach der Reparatur des PCs ging ich oefters auf dem Heimweg von der Arbeit zur Mittagspause in ein Internetcafe, jedoch nur um eMails zu empfangen bzw. Kurze Nachrichten zu schreiben. Fuer lange eMails geschweige den Blogeintraege blieb keine Zeit. (Siehe dazu: "Ein typisch durchschnittlicher Arbeitstag") Auch Abends hatte ich oft keine Chance, da meine Bruder das Internet belegte. Eines Abends hatte ich mit ihm ausgemacht, dass ich das Internet nach ihm nutzen koennte. Er wollte es mit gegen halb 11 geben. (Wie haben so einen USB-Internet-Stick (aber kein W-Lan…)) Ich war von der Arbeit dermassen geschafft, dass ich vor dem Fernseher immer wieder einschlief. Ich legte mich also mit Klamotten in mein Bett und stellte mir meinen Wecker auf halb 11. Als ich dann an der abgeschlossenen Zimmertuer meines Bruders klopfte hoerte ich von drinnen nur lautes Schnarchen… na toll. Ich startete einige Versuche ihn durch klopfen und rufen zu wecken, doch es war zwecklos.
Der Prozess einer eMail von schreiben bis zum Abschicken ist abhaengig von meinem Arbeitspensum, der Geschwindigkeit des Internets in den Cafes bzw. der Geschwindigkeit oder Zuverlaessigkeit meines Bruders, dementsprechend nicht so ganz einfach und muss stets ueber mehrere Tage geplant werden.
Ein weiteres Problemchen stellt zur Zeit die Arbeit dar. "An sich" ist alles prima, doch das reicht nicht. Seit dem Kurs fuer staedtische Landwirtschaft gibt es etwa 20 potentielle freiwillige Helfer. Doch mit der Abreise des Profesors aus Bogota verabschiedete sich auch die Motivation der Leute. Lediglich ein paar wenige kamen regelmaessig auf das Feld um zu helfen. Andere kamen ab und zu vorbei und erkundigten sich, wer den alles so da war. Oft musste ich ihnen jedoch anworten, dass sie die ersten seien worauf die meisten ploetzlich noch "wichtige Termine" hatten und zuegig die Flucht ergriffen. Viele kamen gar nicht mehr. Ich wollte ein Treffen mit allen organisieren, doch da mir mein Handy geklaut wurde, musste ich mir zunaechst alle Nummern organisieren. Dies dauerte weitere zwei Tage, da eine Kontaktperson es nicht geschafft hat mir die Liste zu kopieren. Irgendwann lies ich mir die wichtigsten Nummern per Telephon diktieren und startete eine Art Telephonkette. Am Tag des Treffens kamen 9 der 20 Leute…
Es ist sehr unzufriedenstellend, da ich gewissermassen fuer das Projekt verantwortlich bin. Nachdem Esperanza, die im letzten Jahr die Verantwortung zusammen mit Marco ueber das Feld hatte, jetzt jeden Tag im Hotel arbeiten muss bin ich mehr oder weniger auf mich allein gestellt. Mehr oder weniger, da ich regelmaessig mit der Geldgeberin Ruecksprache halte, doch in Sachen Organisation kann sie mir auch wenig weiterhelfen, da sie gleichzeitig Chefin eines Immobilienbueros ist, ein Altersheim foerdert, im AFS-Kommittee ist und eben auch das "Pflanzgartenprojekt" foerdert. Kurze Anmerkung: Nebenbei ist sie auch die Freundin meiner Mutter. Und sowieso kennen sich einfach alle hier und jeder hat mit jedem etwas zu tun (jedoch nur mit Personen der selben sozialen Schicht!!!). Es gibt unendlich viel Tratsch… egal wo man ist, mit wem und zu welcher Uhrzeit, man wird immer gesehen und es wird alles munter weitererzaehlt…
Es liegt also an mir die Leute zu animieren, was sich als sehr schwierig erweist. Ich will nicht sagen, dass die Leute hier faul sind, aber die Hitze scheint die Menschen in ihrer Aktivitaet schon sehr einzuschraenken. Auch habe ich diese Woche, natuerlich nicht direkt, sondern ueber 3 Ecken gehoert, dass die meisten der Freiwilligen nicht arbeiten wollen, weil sie kein Geld bezahlt bekommen und die Ertraege verkauft warden und der Gewinn ausschliesslich der Fundacion zu Gute kommen sollen. So ganz klar ist das jedoch auch nicht, da sind sich naemlich auch die "Grossen" uneinig. Auch haben wir nocheinmal versucht die Obdachlosen, die regelmaessig das Angebot der Fundacion nutzen zu motivieren auf dem Feld zu arbeiten, doch das hat eine grosse Diskusision ausgeloesst. Kaum einer hat Lust unentgeltlich zu arbeiten. Ist irgendwo auch verstaendlich, doch wir habe uns darauf geeinigt, dass jeder Woechtenlich ein bis zwei Stunden auf dem Feld mithilft, als ein „moralisches Soll", damit waren die meisten zufrieden. Bis der „Stundenplan" organisiert ist, sollen die Obdachlosen die Moeglichkeit haben einfach so auf dem Feld vorbeizuschauen und das Gelaende kennenzulernen. In der letzten Zeit haben mir immer wieder einige der Maenner angekunedigt, dass sie bald kommen wollen, das ist bis jetzt jedoch noch nicht geschehen.
Lediglich einer kam. Das war jedoch ein Reinfall: Ich habe ihm gezeigt, was wir anbauen, er hat sich jedoch nicht wirklich interessiert. Viel mehr hat er sich fuer meine Sachen interessiert. Ich hatte mich lediglich einen kurzen Moment von ihm weggedreht, da hatte er schon seine Hand an meinem Rucksack. Schnell zog er seine Hand weg und blaetterte „unauffaellig" in meiner neben dem Rucksack liegenden Kladde und fragte scheinheilig, ob er ein Blatt haben koennte... ich sagte nichts, machte ihm jedoch klar, dass ich jetzt gehen muesste. Als er verschwunden merkte ich, dass das Vorhaengeschloss fehlte... voellog sinnlos zu rauben, ohne Schluessel, trotzdem Scheisse! Hijo de puta.
Ich verrigelte umstaendlich mit meinem Fahrradschloss und fuhr zu meiner Chefin. Sie lachte ueber den Vorfall. Gewissermassen lachte sie mich aus, da ich mich so leicht hab uebers Ohr hauen lassen. Ich schaemte mich, war aber auch froh, dass es kein Drama war und kaufte ein neues Schloss.
Ich arbeite also jeden Tag auf dem Feld und hoffe, dass jemand vorbeikommt. Viel Zeit darueber nachzudenken, was man an der Organisation aendern kann bleibt mir jedoch auch nciht, da es enorm viel zu tu gibt. (siehe ebenfalls: "Ein typisch durchschnittlicher Arbeitstag")
Das Problem(chen) was mich zurZeit am meisten beschaeftigt bezieht sich jedoch auf meine Freizeit. Ich hatte bereits darueber geschrieben, dass mein Bruder mir komplett verbieten will, dass ich mich mit „Personen, die er nicht kennt" treffe geschweige denn rede (ich habe mir seine Versuche „Verantwortung" ueber jemanden zu nehmen angehoert und mir stillschweigend lediglich meinen Teil gedacht...), meine Mutter ist nicht ganz so radikal, sieht es jedoch acuh nicht gerne. Sie moechte ueber die Menschen Bescheid wissen, mit denen ich mcih treffe um sicherzugehen, dass es keine „schlechten Menschen" sind. Das Problem ist nur, dass ihre Meinung sehr eingefahren und vorurteilsbehaftet ist. Wie mir die Chefin des AFS-Kommittees Girardot erklaerte ist dies eine Sache der Kultur. Wahrend in Deutschland bzw. Europa die meisten Menschen als gleich angessehen werden herrscht hier die Differenzierung der Menschen in soziale Schichten viel extremer vor. Jemand der arm ist, eine „niedere" Arbeit hat, ein „kaputtes" Familienverhaeltnis (und „womoeglich noch eine dunkle Hautfarbe") hat gilt als „gefaerlich". „Ein Dieb, ein Drogenabhaeniger". Das sind Meinungen, die man nicht selten hoert von Menschen im Umfeld meiner Familie, meiner Kontaktperson, dem AFS-Kommitte. Alles Leute der „Oberschicht". Meine Mutter vertritt diese konservertive Meinung sehr stark und laesst sich von ihren Vorurteilen kaum abbringen. Gewiss hat sie ihre Gruende. Vor 20 Jahren wurde ihr Mann von der Guerilla ermordet. Aufgrund der Oeffentlichkeit dieses Blogs verzichte hier ich auf weitere Detaills. Jedenfalls hat sie Gruende eine Abneigung gegenueber einer ganz bestimmten Gruppe von Menschen zu haben, doch diese Abneigung uebertraegt sie auf Menschen, die mit dieser Sache in der heutigen Zeit einfach nichts mehr zu tun haben. Beispielsweise auf alle Menschen, die nicht den Kriterien der Oberschicht entsprechen, so auch Cesar. Er ist der feste Freund von Lea, eine Freiwillige aus Deutschland, die im letzten Jahr hier in Girardot gearbeitet hat. Ich habe ihn nun auch kennengelernt und er erweist sich als sehr netter und aufrichtiger Mensch der eine Art Freund werden koennte. Ich habe noch nichts schlechtes an ihm feststellen koennen. Zwar kommt er aus armen Verhaeltnissen, doch arbeitet er und studiert parallel internationale Kueche. Er ist sehr engangiert und spart Geld um naechsts Jahr nach Deutschland zu reisen um seine Freundin zu besuchen. Er hat mir viel in der Stadt gezeigt und mir erklaert, welche Strassen man zu welcher Uhrzeit meiden sollte. Auch begleitet er mich stets bis nach Hause, kurz: er kuemmert sich sehr. Nach dem Raubueberfall hat er mich besucht um sich zu erkundigen, was denn passiert sei, da ich nicht an mein handy gegangen bin. Er war beinahe sauer, dass wir alleine unterwegs waren und nicht mit ihm. Auch wenn das AFS-Kommitte ihn kennt traut meine Mutter ihm nicht und es ist jedesmal eine sehr schwierige Situation, wenn ich frage, ob ich mich mit ihm treffen kann. Ich weiss genau, dass meiner Mutter es nciht sehr gefaellt. Es ist mir wichtig den Kontakt aufrecht zu erhalten udn zu staerken, doch gleichzietig will ich meine Mutter nicht veraergern. Ich muss erreichen, dass meine Mutter ihm ein bisschen mehr Vertrauen schenkt, gleichzeitig aber darf ich nicht zu viel von ihr verlangen, da sie sehr schnell eingeschnappt ist wenn ich zu fordernd bin. Sie sagt dann zwar (zaehneknirschend) ja, denkt sich ihren Teil, sagt jedoch nicht ihre Meinung sondern laesst es mich durch schlechte Laune fuehlen. Das konnte ich schon erleben und habe daraus gelernt. Es ist Arbeit mit Fingerspitzengefuehl und viel Geduld um verschiedene Kulturen aber auch verschiedene Persoenlichkeiten und Ansichten zusammenzubringen.
Jedenfalls schaffe ich es mich mit Casar zu treffen und habe auch schon einen Freund von ihm kennengelernt. Er heisst Juan Camillo und ist sehr musikbegeistert und hat mich mit ins „Haus der Kulturen" genommen. Dort gibt es jeden Nachmittag die Moeglichkeit Lateinamerikanische Percussion zu lernen. Es stehen dort Instrumente und es ist ein Musiklehrer angestellt. Nachmittags kommen dann Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. „Wer zuerst kommt spielt zuerst" (etwa 20 bis 40 Minuten, je nachdem wie gross der Andrang ist) ist die Devise. Alle durcheinander uebt jeder auf seinem persoenlichen Wissensstand und der Lehrer hilft ueberall weiter. Es ist eine etwas chaotische Angelegenheit, doch keiner muss etwas dafuer zahlen. Man lernt von den anderen und gemeinsam in der Gruppe. Ich versuchen jetzt ein bis zweimal die Woche dort zwischen Mittagessen und der Arbeit am Nachmittag hinzugehen um kolumbianische Rythmen auf dem Schlagzueg zu lernen. Es macht sehr viel Spass und ich habe so die Moeglichkeit weitere Musikbegeisterte (teilweise auch in meinem Alter) kennenzulernen.