Donnerstag, 15. Juli 2010

Resumee Ende: "Ohne Projekt...was bleibt?"

Ohne die erfolgreiche Arbeit, die mich immer wieder aufgemuntert hat in meiner Zeit hier, die mir Kraft geschaenkt und mir einen Ort bot in dem ich frei sein konnte, gibt es somit kaum mehr etwas was mich hier haelt.

Das bedeutet nicht, dass ich die Zeit hier nicht missen wuerde. Ich bin sehr froh dieses Jahr hier verbracht zu haben, doch es war anstrengend. Ich habe sehr sehr viel kennengelernt und die vielen Erfahrungen haben mich bereichert und in meiner persoenlichen Entwicklung sicherlich weitergebracht. Doch nun ist es erstmal genug mit neuen Erfahrung, zumindest Erfahrungen dieser Art. Ich bin erschoepft.

Erschoepft von der staendigen Wachsamkeit. Will nicht mehr in jedem das Boese sehen, doch leider wird man hier dazu gezwungen, denn es geht um das eigene Wohl. Dieses Land hat mich Misstrauen gelernt. Es zwingt einen dazu die Menschen zu kategorisieren, die dir begegen. Auftreten, Kleidung, Beschaeftigung, Aesserlichkeiten eben. Du entscheidest oberflaechlich ob gut oder gefaehrlich und so stehst du ihnen dann gegenueber, behaldelst sie dementsprechend oder gehst gar nicht auf sie ein. Ich haette es vorher nie war haben wollen und kann es immer noch nicht glauben. Es ist eine Rechenaufgabe. Jemand hat schmutzige, alte oder kaputte Kleidung an, geht zu Fuss oder faehrt Fahrrad. Jemand mit mehr Geld zieht sich nur in Ausnahmefaellen so an und faehrt sonst auch mit dem Auto oder mindestens Motorrad. Unter 100 reichen Menschen und 100 Armen, wo findet man wohl einen groesseren Anteil derjenigen die bereit waeren, die es noetig haben dich zu beklauen oder auszurauben? Es ist sehr traurig, doch es passiert ganz schnell, dieses Schubladendenken in Bezug auf Aeusserlichkeiten. Zum Selbstschutz.

Alle kennen die Geschichten. Einfacher Taschendiebstahl, Ueberfall oder gar die „Millionaerstour“ in einem gefaelschten Taxi, in dem sich bewaffnete Komplizen zum Taxi-Kollegen gesellen, dich bedrohen und du solange als „normales“ Taxi durch die Stadt faehrst bis du komplett ausgenommen bist, kurze Stops an Geldautomaten beim Mitfuehren einer Geldkarte, ausgesetzt irgendwo mit absolut nichts in den Taschen.

All dies ist in unserer Gruppe von etwa 20 Freiwilligen schon vorgekommen.

Und um vorzubeugen heisst es eben: Gefahr einschaetzen, Leute einschaetzen, bei naeherer Begegnung auf die Haende schauen, Dunkelheit und Einsamkeit meiden, „teures“ Aussehen meiden, keine grossen Scheine, keine Taxis von der Strasse, Taxi-Registrierkarte checken, ggf Tueren, in Bussen nach vorn setzen, nicht allein im Bus sein, auf der Strasse die naechste Tuerklingel im Blick haben, wie sieht das Viertel/die Strasse aus in der ich laufe, darauf gefasst sein angegriffen zu werden, ggf wegzurennen. All dies und noch viel mehr geht einem staendig durch den Kopf und macht einem Sorgen beispielsweise beim blossen Heimweg von einem Freund.

Genauso beim blossen Einkauf (wenn es keine festen Preise gibt): Man muss als „Gringo“ ja schonmal annehmen, dass der erste Preis der genannt wird den „normalen“ Haendleraufschlag PLUS „Touristen“-Aufschlaf beinhaltet, also: Handeln.

Ich traue keinem ersten Preis, im Zweifelsfall kaufe ich nicht und lasse dabei auch manchmal Verkaeufer zurueck die WIRKLICH den „normalen“ Preis und nich mehr verlangt haben und veraergert sind ueber die „reichen Touristen, die denken sie muessten die fuer sie schon billigen Preise noch mehr druecken“ ...

Jedes Mal nach einem erfolgreichen Kauf frage ich mich jedoch: Was haette ein Kolumbianer bezahlt?

Aehnlich beim Busfahren. Dort sind die Preise gluecklicherweise meistens festgelegt. Worum hier gehandelt werden muss sind allerdings die Leistungen. „Superdirketbus“ und am Ende haelt er doch an jedem Ort und nimmt an der Landstrasse Fahrgaeste auf.

„Drei Stunden Fahrtzeit, keine Pause. Los geht es quasi sofort!“ Nach einer halben Stunde geht es los, nach 5 Stunden ist man da...

Man wird angelogen fuer Geld.

Mit diesen Gedanken, Sorgen und Aengsten wird man tagtaeglich konfrontiert, bei Dingen, die woanders (momentan kann ich da nur fuer Deutschland/Europa sprechen) funktionieren, sicher und legal sind oder einfach keine Rolle spielen, sodass man seine Nerven und seine Energie auch nicht unnoetig damit belasten muss.

Grade der Sicherheitsaspekt und die staedige Angst macht einem am meisten zu schaffen. Natuerlich gehe ich auch Risiken ein, sonst kann man ja schliesslich auch nichts erleben. Doch man muss einfach darauf achten „das Risiko zu maximieren und die Freuden zu maximieren“ wie es Lars (in Cali) in seinem Blog recht treffend beschreibt und einen fuer sich passenden Kompromiss finden.

Neben den Sorgen um die Sicherheit habe ich auch einfach genug davon angestarrt zu werden, als waere ich von einem anderen Planeten, dass mir einfach „mono“ Blonder/Blondschopf oder „gringo“ hinterhergerufen wird, genug von BeinUNfreiheit in Reisebussen, bei durchschnittlich drei Stunden Fahrt fuer 100km, genug von staendiger Waffenpraesenz durch Millitaer, Polizei, privater Sicherheitsdienst, Privatpersonen; genug davon, so oft oeffentlich angebettelt zu werden, genug von der Belaestigung nicht nachgebender Verkaeufer, genug von den Bussen, die den Hintermann beim Anfahren in einer schwarzen Wolke aus Abgasen zuruecklassen, genug vom Schwitzen beim Nichtstun und dem Hitzetot beim Arbeiten, genug von Stechmuecken, genug von Fehlalarm im eigenes Haus bei dem dich jedesmal genausogut ein Einbrecher in deinem Zimmer haette ueberraschen koennen, genug von Gringo-Preisen, genug von der permanent erhoehten Lebensgefahr nur weil man mit dem Fahrrad im Strassenverkehr (=Strassenkampf) unterwegs ist, genug von zu vielen Dritte-Reichs-Diskussionen, genug von den Menschen die dich anluegen fuer Geld, genug von angsterfuellten Heimwegen nach 7 Uhr am Abend, genug der staendigen Gefahr durch Raub oder Ueberfaelle an die „weissen, reichen, gringos“, undsoweiterundsofort.

Es kann sehr anstrengend sein!

Die Tatsachen, die wir zwar mitkriegen und die einem Sorgen bereiten, unter denen wir jedoch persoenlich gluecklicherweise NICHT leiden sind wesentlich schlimmer.

Von Stimmkauf bei Wahlen ueber schwere Korruption, Trennung in soziale Klassen (und dementsprechend unterschiedlich gute Bildung, Gesundheitsversorgung, Arbeitsangebot, etc. --> Zukunftsperspektive), Entfuerungen, Anschlaege der FARC, buergerkriegsaehnliche Zustaende zwischen Militaer und Guerilla in den Krisenregionen, „Falsche Positivmeldungen“ (Das Militaer ueberfaellt ein abgelegenes Bergdorf, steckt die ermordeten Bewohner in „FARC“ Uniformen und laesst das ganze als innenpolitischen Erfolg gegen die Guerilla gelten), Auftragskiller (Ein Mord ab 10 Euro), Prostitution (Minderjaehriger), Gewalt, bis hin zur „Sozialen Saeuberung“ in der (verdeckt) die Gruppe von Menschen, die es „nicht wert sei“ ermordet wird. Obdachlose, Diebe, Drogendealer, Abhaengige, Prostituierte,... Immer wieder hoert man von gefundenen Leichen, die jedoch „nicht identifiziert“ werden konnten oder einfach von niemandem vermisst und somit niemandem zugeordnet werden konnten.

Auch wenn es jetzt alles auf einmal einen schrecklichen Eindruck hinterlaesst, muss es gesagt werden. Es waere eine einseitige Berichterstattung diese Seite des Landes auszuklammern. Es muss dazu auch gesagt werden, dass die Situation vor Jahren viel schlimmer aussah und dass sich in den letzten Jahren zum Thema Sicherheit, grade in Bezug auf die Gefahr durch die FARC, vieles enorm gebessert hat!

Selbstverstaendlich werde ich niemals die schoenen Seiten dieses Landes vergessen. Die einzigartige Kultur, die sich in jedem Teil des Landes anhand ihrer eigenen Musik, Tanz, Kunsthandwerk, Dialekt, Vokabular, Essgewohnheiten, etc anders auspraegt. Dazu kommt die Geschichte, die letzten Zeichen und Plaetze der Urvoelker, Indigene Gemeinden oder Bauwerke im praechtigen spansichen Kolonialstil.

Und die sagenhafte Schoenheit dieses Landes. Viele Fotos auf diesem Blog zeigen es, sei es der exotische Urwald, die maechtigen Gebirge, gruen bewachsene Huegellandschaften, praechtige Flusslaeufe, Palmen am weissen Strand der tuerkisblauen karibischen See. Dennoch: Was nuetzt einem ein Paradis, wenn man sich dort nicht sicher fuehlt und entspannen kann?

Es ist sehr schwer so zu urteilen, wahrscheinlich werden mir in Deutschland auch schnell wieder Dinge auffallen, die hier in Kolumbien vielleicht „einfacher“ gewesen zu sein scheinen. Der bisherige Vergleich nach meinem Jahr sagt mir jedoch, dass ich lieber mit den „Schwierigkeiten“ in Deutschland/Europa lebe und ich die dortige Sicherheit und die persoenliche Freiheit, die Leistungen des Staates und die Perspektiven von JEDEM der dort lebt, jetzt zu schaetzen weiss wie nie zuvor.

Vor allem aber freue ich mich auf meine eigene Familie, darauf, wieder geliebte Menschen um mich zu haben. Ein vertrautes Umfeld in dem Toleranz herrscht sowie die persoenliche Freiheit eines jeden.

Und so fahre ich nun also ein allerletztes Mal mit dem Fahrrad von der Arbeit nach Hause ueber die altbekannte Kreuzung, ein kurzer Blick auf die Ampel: Es leuchten Rot und Gruen gleichzeitig...

Mach es gut, Kolumbien!

...

aehm

STOP

Da war doch noch was, ... richtig!!

Eines der schoensten Ereignisse meines Aufenthaltes steht ja noch an, denn in wenigen Tagen kommt mich mein Vater hier in Kolumbien besuchen. Wir werden gemeinsam im Land herumreisen und er wird kennenlernen, wie ich hier in Girardot gewohnt und gearbeitet habe. Die Vorfreude ist bei uns beiden riesig!!

Doch ob es ueber dieses Ereigniss noch einen Artikel geben wird, weiss ich nicht.

Deshalb ist dies das vorlaeufige ENDE meiner Berichterstattung waehrend meines einjaehrigen „Anderen Dienstes im Ausland“ hier in Kolumbien.

Ich hoffe sehr ich konnte euch einen Eindruck davon machen, was man waehrend eines solchen Aufenthaltes von einem Land mitbekommt, euch informieren und unterhalten. Es hat mir Spass gemacht diesen Blog zu fuehren. Die Motivation jedoch das ganze Jahr ueber durchzuhalten wart Ihr als Leser.

In diesem Sinne, vielen Dank fuer das Interesse!!!

Gerade zum letzten, etwas kritischem Artikel wuensche ich mir Kommentare. Anmerkungen, Kritik, Fragen, was es auch sei. Ich antworte gerne (jedoch erst ab Anfang August. :)

Ende August geht es fuer mich wieder in die Heimat.

Ich hoffe auf ein baldiges Wiedersehen in Deutschland!

Nochmals vielen Dank,

euer Julian

Resumee Teil 3: "bergab"

Es ging damit los, dass durch heftige Regenfaelle Teile der Mauer einstuerzten, die das Feld umgeben. Viele Pflanzen wurden verschuettet und es mussten riesige Mengen Schlamm und Steine weggeschafft werden. Die eigentliche, produktive Arbeit musste also zurueckgestellt werden. Durch die im Vergleich zu vorher vielen Regentage wurde auch die Arbeit im Matsch unangenehm, sofern es ueberhaupt moeglich war zu arbeiten.
In der Vergangenheit kam es zwar immer wieder zu kleinen Diebstaehlen bei mir auf dem Feld (Vorhaengeschloss, Zange, Schaufel, Wasserhahn,...) auf die ich jedesmal mit einer Verstaerkung der Stacheldrahtverhaue an den kritischen Mauerloechern reagierte. Nun jedoch, da die Mauer an einer Stelle durch den Einsturz wesentlich niedriger war als vorher wurde Nacht fuer Nacht in das Grundstueck eingestiegen. Jeden morgen aufs Neue hiess es erst einmal sondieren, was denn nun wieder fehlt. Der Blick durch das kleine Loch in der Tuer vor dem Aufschliessen liess mich jedes Mal den Atem anhalten: „Waren sie noch da, die teuren Schattennetze??? Zum Glueck, sie sind noch da!!“ Aufatmen. Es fehlten lediglich des oefteren Holzbretter, mit denen die Beete befestigt werden. Auch wenn allein schon der Raub dieser Brette und somit das Zerstoeren der Beete eine Sauerei ist, wenn man bedenkt, dass dort Obst und Gemues angeplanzt wird fuer die Kueche eines Obdachlosenheims, habe ich versucht mich nicht allzusehr zu aergern und konnte weitgehend mit neuen Brettern alles wieder hinbasteln.

So ging es dann eine Zeit lang weiter, nicht so produktiv wie vorher, doch es ging. Irgendwann entdeckte ich dann mit Emma einen Sack gefuellt mit unreifen Ahuyamas (aehnlich unserer Zuccini), der innerhalb des Feldes bereitgelegt wurde um dann wohl in der Nacht abgeholt zu werden. Wir glaubten es nicht, jetzt begannen die Diebe schon uns die unreifen Fruechte wegzuklauen!

Schon von Beginn an wussten wir, man konnte keine Werkzeuge oder teuren Materialien dor lagern, doch wenn jetzt schon die (unreife) Ernte selbst entwendet wird, was beibt dann noch?? Etwas frustriert und zaehneknirschend ging es weiter. Doch es wurde immer schlimmer! Nur kurze Zeit spaeter fehlten einige Bambusrohre, die zur Konstruktion von Beeten fuer verschiedene Privathaeuser gedacht waren. Der Teil des Projektes, der auch ohne das Feld noch weiterleben koennte. Mein Aerger war riesig, ich brachte so schnell es geht die Konstruktion fertig, die ich angefangen hatte und brachte die restlichen Materialien zu Emma nach Hause.

Wie sollte es nun weitergehen?? Die Antwort liess nicht lange auf sich warten.

Als ich naemlich nach einem weiteren Wochenende wieder auf das Feld kam um festzustellen, dass uns die gesamten neu aufgespannten, teuren Schattennetze geklaut wurden stand es fest: Es geht nicht weiter. So kann niemand arbeiten! Viele Monate habe ich daran gearbeitet einen Gemuesegarten auf die Beine zu stellen, habe eine kleine Zucht nativer Baeume sowie einiger Zierpflanzen gehabt. Eine Arbeit die zwar urspruenglich als direkter Arbeitsplatz fuer die Obdachlosen unserer Stiftung gedacht war, im Endeffekt jedoch „lediglich“ der Kueche Obst und Gemuese lieferte, was ja indirket auch den Obdachlosen zu Gute kommt. Beklaut und wenn man es so will zum Teil zerstoert von den Obdachlosen selbst. Von Menschen, denen es so schlecht geht, dass sie nicht nachdenken, wem sie schaden. Denen es egal ist, dass sie indirket sich selbst schaden, da der Verlust auf dem Feld, welches Teil der gesamten Stifung ist, einen Mangel an Geld bedeutet, der sich auch auf das Obdachlosenhaus und somit IHRE EIGENE Unterkunft und Rettungsmoeglichkeit auswirkt. Doch was bei ihnen zaehlt sind die Drogen, die sie JETZT brauchen. Ein bisschen Bambus geklaut, beim Schrotthaendler gekauft und dirket um die Ecke von dem Verdienst etwas Marihuana erworben. Das reicht fuer den Rausch bis morgen, da braucht man auch kein Obdachlosenheim, da kann man ruhig auf der Strasse schlafen. Der Hunger ist dann auch nicht mehr so wichtig...


Ohne Schattennetzte verbrennen die Pflanzen in der Sonne. Abgesehen davon, wer glaub noch daran, an diesem Ort etwas aufzubauen ohne das man Gefahr laeuft, beklaut zu werden. Das Vivero wie es war an diesem Ort ist zu Ende. Die darauffolgende Tage, waehrend immer mehr Sachen verschwanden, klaerte ich mit den Verantwortlichen ab, dass kein Geld und keine Energie mehr in dieses Feld an diesem Ort gesteckt wird. Es ist es einfach nicht wert. Jetzt heisst es einpacken, alle „Wertgegenstaende“ abmontieren, an einem sicheren Ort lagern, hoffen, dass die restlichen Pflanzen nicht verbrennen und darauf warten, dass sich ein neues am besten teils bewohntes Grundstueck finden laesst, wo man einen Neuanfang wagen kann. Dies wird dann Aufgabe meines Nachfolgers sein. Fuer mich ist hier Schluss.

Es ist zwar eine recht traurige Wendung und sehr frustrierend, doch irgendwo auch eine runde Sache. Gerne haette ich das Feld in einem guten, bluehenden Zustand uebergeben, doch das Schicksal wollte es anders. Vielleicht ist es gut, die Erfahrung gemacht zu haben, dass man sich sorgsam um die Lage eines Grundstueckes fuer solch ein Projekt kuemmern muss, bevor man Geld und Arbeit investiert.

Ich jedenfalls bin etwas enttaeuscht von diesem Ende, vor allem aber muede. Fuer mich geht meine Zeit hier bald zu Ende. Ich blicke auf ein Jahr zurueck in dem ich so hart und kontinuierlich koerperlich gearbeitet habe wie noch nie zuvor in meinem Leben. Mit wenig Geld, einfachsten Mitteln und viel Anstrengung konnte ich aus einem leeren, jedoch durch meinen Vorgaenger schon gut preparierten Grundstueck einen gruen bewachsenen, bluehenden Pflanzgarten machen in dem mich jeden morgen ein Familie gelber Kanarienvoegel sowie ein zutrauliches Kolibiri-Paerchen begruesst haben.


Ich schaetze die Menschen, die sich sozial engagieren und mit solchen Enttaeuschungen zu kaempfen haben verursacht durch die Menschen, denen sie helfen wollen und dennoch immer weiter machen. Ich bin erschoepft und ziemlich froh nach diesem Jahr die Arbeit an jemanden abgeben zu koennen und hoffe sehr, das mit neuer, frischer Energie das Projekt in die richtige Richtung am richtigen Ort vorangetrieben werden kann.
Und es folgten weitere tolle Erlebnisse. Die Osterfeiertage verbrachte ich beispielsweise in POPAYAN, eine Stadt suedlich von Cali. In dessen prunkvollen Altstadt bestehend aus strahlend weiss verputzen Gebaeuden im spanischen Kolonialstil sollten die festlichsten und ueber die Landesgrenzen Kolumbiens beruehmten Osterumzuege stattfinden. Wahrhaftig waren die praechtigen, feierlichen Umzuege ein wunderbares Erlebniss, der angekuendigte „Massentourismus“ hiehlt sich auch in Grenzen. Zu einem der Hoehepunkte dieser Reise zaehlt mit Sicherheit das Erlebniss, einmal selbst einen dieser „Pasos“, auf denen durch Bild und Skulpturen die Ostergeschichte erzaehlt wird, tragen zu duerfen. Jedoch lediglich aus der Kirche zum Startpunkt der Prozession.




Einen dieser „Pasos“ waehrend der Prozession tragen zu duerfen ist mit grosser Ehre verbunden und geht aus langer Familientradition hervor (einflussreiche Familien besitzten die Pasos und das seit hunderten von Jahren). Trotzdem war es uns als „Zutraeger“ ebenfalls eine grosse Ehre. Die Gestelle haben ein Gewicht von 300-500 kg. Das bekommen die acht Traeger auch zu spueren. Ich jedenfalls war nach ein paar Blocks und etwa 15 Minuten (ich weiss die Zeit nicht mehr genau, habe mich eigentlich nur noch auf die Schmerzen konzentriert und mit mir selber gekaempftJ...) fix und fertig und habe noch Tage danach meine Schulter gespuert. Ein sehr befreiendes aber auch ehrfuerchtiges Gefuehl, die offiziellen Traeger im Anschluss 3-4 Stunden am Stueck tragen zu sehen.

Mehr Bilder zu den feierlichen Prozessionen sowie Erzaehlungen zu dem Aufenthalt gibt es zu einem anderen Zeitpunkt in einem extra Eintrag.

In diesem Beitrag geht es, obwohl man es nicht wirklich merkt, immer noch um eine Art Resumme... auch wenn ich bis jetzt nicht in der Lage war es konkret in Worte zu fassen.

Jedenfalls war ich grade dabei von weiteren verschiedenen tollen Erlebnissen zu sprechen. Neben der Fahrt nach Popayan, vor der ich sogar noch 3 Tage Aufenthalt in Cali hatte und mit Lars (einem weiteren Freiwilligen) in den Regenwald nahe der pazifischen Kueste an einen bezaubernden Urwaldfluss fuhr (mehr dazu ebenfalls in einem extra Beitrag) war es eine Zeit in der mir mein Aufenthalt wohl am meisten Spass machte beziehungsweise am „einfachsten“ viel. Dies lag an der Erinneung an die bisherigen Reisen und unglaublichen Erlebnissen (niemals hatte ich mir vorher in Deutschland ertraeumt durch den Amazonas zu wandern oder in der Karibik unter Palmen zu liegen oder zu surfen) jedoch am meisten an meiner Arbeit. Immerhin ist die Arbeit in meinem Projekt der Hauptgrund warum ich hier bin. Es gab schon ganz von Beginn an viele Probleme. Ich berichtete von der grossen Unterstuetzung und Interesse der Frauen aus dem Viertel an der Arbeit auf dem Feld und der darauffolgenden eintreffenden Lustlosigkeit. Nach und nach verliessen sie mich und am Ende stand ich alleine da, lediglich eine aeltere Frau (Emma) aus dem Armenviertel begleitete mich weiter und ist bis zum Schluss regelmaessig dabei gewesen mich beim Bewaessern, Anpflanzen und Pflegen der Pflanzen zu unterstuetzen. Sie ist die einzige, die einen Nutzen aus der freiwillen Arbeit gezogen hat und nicht schon vorher aufgegeben hat. Sie sagte mir eines Tages: „Weisst du Julian, ich komme gerne auf das Feld um hier zu helfen. Es ist besser zu saeen und zu sehen wie die Pflanzen gedeien, als staendig die traurigen und wuetenden Gesichter zu Hause.“
Diese Einstellung beziehungsweise die Erkenntnis haette ich mir gerne auch von den Obdachlosen gewuenscht, fuer die das Projekt ja schliesslich auch gedacht war, doch dazu kam es leider nie.

Auf jeden Fall teilte ich mir mit Emma eine Arbeit und auch eine Einstellung. Auch wenn ich mit ganz anderen Problemen zu tun hatte, war das Feld fuer mich wie eine Befreiung.

Wie schon berichtet (?) fuehlte ich mich bei meiner Gastfamilie nicht wirklich wohl. Ich habe zwar gelernt mit der Situation umzugehen, trotzdem belastete es mich permanent. Ich konnte kaum etwas machen ohne zu wissen, dass es meiner Gastmutter auf irgendeine Weise nicht passte. Angefangen mit den Freunden, die „schlechte Menschen“ seien, weil sie aus armen Verhaeltnissen kommen, Wandertouren („...da ist die Guerilla...“) oder einfach nur irgendwelche Untermehnungen in der Stadt mit/bei Freunden. Dadurch dass ich alles daran gesetzt habe die wenigen Freunde die ich zu Beginn hatte und bei denn ich mir sicher sein konnte, dass es keine „schlechten Menschen“ waren und keine Gefahr ausging, weiterhin zu treffen (indem ich mit vielen Leuten von AFS sprach und oefter mit meiner Gastmutter diskutierte) war unser Verhaeltniss schon frueh beschaedigt. In ihren Augen ist man sturkoepfig und will nicht hoeren, wenn man diskutiert oder allein nachfragt, WARUM etwas so ist wie es gesagt wird. Es hatte einfach keinen Zeck mit ihr zu reden. Da ich also irgendwo ihre Authoritaet untergrub indem ich mir Unterstutzung bei den anderen Frauen holte, wurde die Beziehung schlechter, jedenfalls nicht mehr oberflaechlich freundlich, was auch was Gutes hatte. Dennoch hat es mich bedrueckt, bis heute. Es ist ein Zustand in dem ich im Prinzip alles machen kann was ich moechte (eigenverantwortlich), meine Gastmutter mich jedoch spueren laesst, das sie mit sogut wie nichts einverstanden ist. Dass ich ihr Bescheid gebe ist reine Formsache und es belastet mich jedesmal aufs Neue. Ich merke deutlich, dass ihr es nicht gefaellt was ich ankuendigt. Als Antwort kommt dann nur noch „Du musst es ja wissen“ , „Weiss Julia von AFS davon“ oder „Was soll ich sagen, du machst doch eh was du willst“ oder einfach gar keine richtige Antwort, grade bei Dingen die sogar fuer SIE niemals als gefaherlich eingestuft wuerden und denen sie eigentlich (in einem „guten“, oberflaechlichen(?) Verhaeltniss) zugestimmt haette, wie beispielsweise Kino... Es war also so, dass ich auch nicht mehr wirklich fragen konnte, ob jetzt wirklich eine Situation gefaherlich sei, da ich ja fuer nichts „ihren Segen“ bekam. Auch wenn ich das meiste, was ich wollte gemacht habe, fuehlte ich mich dennoch bei allem ungut. Egal, was ich machte, ich wusste, dass sie nicht einverstanden war. Es haette mir auch egal sein koennen, doch immerhin hat sie mich fuer ein Jahr bei sich aufgenommen und bietet mir rein materiell (grosses Haus, eigenes Zimmer, gewaschene Waesche, gutes Essen, ...) sehr viel. Auch wenn ich mich immer wieder frage, warum sie mich aufgenommen hat, wo doch so wenig Interesse an mich und meine Kultur/meine Heimat besteht und wir auch keine Familienunternehmungen miteinander teilen...
Es ist mir jedenfalls nicht egal, was sie denkt und fuehle staendig eine gewisse Verpflichtung mich gut aufzufuehren und ihr nicht so viele „Sorgen“ zu bereiten. Folglich fuehle ich mich bei allem was ich mache nicht hundertprozentig gut.

Meine Freiheit ist eingeschraenkt!

Jedoch gibt es eine Ausnahme. Meine Arbeit. Das Feld war der einzige Ort, an dem ich mich gewissermassen frei fuehlen konnte. Wenn ich sagte: Ich geh zur Arbei, dann wusste ich, es war ok. Es musste ok sein, denn grade fuer meine Gastmutter, als konservative Witwe, Arbeitgeber von mehreren Angestellten und knallharte Geschaeftsfrau im Rinder-Business hatte Arbeit und Tuechtigkeit einen sehr hohen Stellenwert.
Auch wenn sie am Anfang sagte, es sei ein gefaerlicher Ort und ich sollte mich dort nicht aufhalten wenn es dunkel ist, hatte ich fuer meine Arbeit ihren „Segen“. (Definitiv ist es ein sehr armes Viertel und an dieser Stelle zudem noch unbewohnt. Ich habe wirklich Glueck, das mir persoenlich dort nichts passiert ist. Spaeter mehr zum Thema Sicherheit).

Dadurch, dass niemand mehr zum Feld zurueckkam um zu helfen war ich auf mich alleine gestellt. Ich war mein eigener Chef. Ich konnte machen was ich will. Wenn ich nichts gemacht habe, dann ist auch nichts passiert und so musste ich mich selber organisieren. Ich entschied was angepflanzt wird, wo welche Beete entstehen, spannte schattenspendende Netze, errichtete Bambuskonstruktionen, erstattete immer wieder Bericht in den woechentlichen Besprechungen, lieferte die Ernte in der Kueche des Obdachlosenheims ab, kuemmerte mich um eine grosszuegige Geldspende eines Pfarrers und erledigte damit einen grossen Einkauf neuer Geraete und Materialien, woduch viel Zeit eingespart wurde und die Arbei noch mehr Spass machte. Ich konnte beispielsweise ab jetzt mit einem Schlauch giessen (was fuer ein technischer Fortschritt, ich fuehlte mich wie in der industriellen Revolution;)), hatte eine neue grosse Schubkarre, mehr Schattennetze und Bambus und Pastikfolie um tragbare Hochbeete zu bauen. Fuer das Obdachlosenheim, fuer ein Altersheim und fuer eine Frau zu Hause. Des Weiteren kuemmerte ich mich um eine neue Lieferung Erde. Dazu war ich im Rathaus und bekam einen Lader von der Stadt gestellt, samt Fahrer. Mit einem Freund hatte ich einen Ort ausfindig gemacht in dem gute Erde abgetragen werden konnte. Wir fuhren dorthin und luden den Lader mit Schaufeln(!) voll mit guter schwarzen Erde.
Mit der neuen Erde konnte ich viele Plastikbeutel befuellen in denen ich beispielsweise Palmen saete oder kleine Aeste die ich vom Schnittabfall in diversen Gaerten bekannter Leute sammelte. Einfach den frischen Ast in die Erde pflanzen und so spriessen nach ein paar Tagen neue frische Blaettchen. So werden nun auf dem Feld kleine Limonenbaeume und diverse Zierpflanzen gezuechtet.

Insgesamt lief die Arbeit sehr gut, es gab IMMER etwas zu tun, auch viele Probleme, beispielsweise mit Wasserrohrbruechen und hohen Wasserrechnungen, doch die probleme wurden geloest und es machte mir unglaublich Spass. Ich investierte sehr viel Zeit in das Projekt, bei der Arbeit war ich frei und es war wunderbar zu sehen wie alles gedeiht.

Mit dem Beginn der Regenzeit jedoch ging es bergab.

Samstag, 5. Juni 2010

(Einschub 2) Erinnerung: Trockenzeit, Fotoreihe


Die naechsten Bilder zeigen Sandinseln im Rio Magdalena die aufgrund der Trockenzeit enorme Ausmasse angenommen haben. Die zum Vorschein gekommenen skurilen Figuren sowie die interessante Landschaft und der ausgefallene Ort boten gute Fotomotive:



(Die Inseln von oben)
















































(Einschub 1) Erinnerung: Wandererlebnisse

Ich unterbreche mein vorlaeufiges (...noch gar nicht richtig begonnenes Resumee) fuer eine Fotoreihe.


Wie auch schon in der Zeit davor nutzte ich oefter die Wochenenden fuer Wanderungen in der wunderschoenen Umgebung Girardots. Zu den besten Ausfluegen die wir stets mit einer kleinen Gruppe von Naturbegeisterten unternahmen gehoerte beispielsweise die Wanderung durch eine teils hoehlenartige, teils dicht bewachsene Schlucht

(„Las Cabernas"):





























Bei dieser Wanderung zu den "Piedras Negras ("Schwarze Felsen") bekamen wir eine schoene Aussicht auf das Tal des Rio Magdalenas bei Girardot von oben.















Noch einmal Haareschneiden oder Ein vorlaeufiges Resumee Teil 1

Vor ein paar Tagen wurde es mir bewusst: Drei Mal habe ich waehrend meiner Zeit bisher den Friseur aufgesucht. Wenn es in diesem Rythmus weitergeht bedeutet das im Klartext: Noch einmal Haareschneiden und dann geht es heim!

Wesentlich sachlicher ausgedrueckt bleiben mir von meinem Jahr als AFS-weltwaerts Freiwilliger hier in Kolumbien noch knappe zweieinhalb Monate, heute genau 74 Tage.

Die Zeit seit Neujahr scheint mir wie im Fluge vergangen zu sein. Nachdem sich die Probleme in der Gastfamilie um die Weihnachtszeit herum zwar nicht geloest haben, ich aber gelernt habe damit umzugehen und wenn noetig eine gewisse Distanz zu halten (eine andere Wahl gab es im Prinzip auch nicht, da keine andere Gastfamilie fuer mich gefunden werden konnte...) ging es mit dem neuen Jahr bergauf. Es war irgendwann im Februar als ich zum ersten Mal das Haus in dem ich hier wohne als eine gewisse Heimat empfand. Nicht zu vergleichen mit meinem Zuhause in Meldorf, doch von einem Moment auf den anderen, als ich mich nach der Arbeit fuer einen Moment in der Haengematte niederliess um etwas fern zu sehen fuehlte ich mich zum ersten Mal nicht mehr so sehr als Gast wie vorher. So richtig wohl fuehle ich mich bis heute nicht; was auch ein sehr hoher Anspruch an eine „Zufallsfamilie“ in einer so anderen Kultur ist. In dem Moment genoss ich zudem Privilegien, die nicht dem Normalfall entsprechen. Erstens ist die Haengematte so eine Art Chefsessel. Sobald Teresa, meine Gastmutter zu Hause ist, muss Platz gemacht werden. Zweitens ist es (wenn Teresa zu Hause ist) vorbestimmt welcher Fernsehkanal eingeschaltet ist: RCN, einer der zwei grossen „oeffentlichen“ (der Sender gehoert dem Boss von „Postobon“, eine Getraenkemarke aus Kolumbien mit Absatz in ganz Lateinamerika) Kanaele, tagsueber mit Nachrichten und abends mit Telenovelas (Soaps). Vor ein paar Wochen ist als neue Krankenhaus/Aerzte - Novela eine Art Kopie der US-Soap „Grey’s Anatomy“ bzw „Scrubs“ angelaufen. Die Idee und der Aufbau gleich, jedoch mit landestypischen Details wie beispielsweise die Einlieferung von schwer verletzten 19 jaehrigen Soldaten die frisch aus Kaempfen mit der Guerilla kommen.

Um den eigentlichen Faden jedoch wieder aufzunehmen, fuehlte ich mich jedenfalls ab Mitte Februar schon etwas besser im Haus, mit dem Projekt war es wie immer kompliziert und anstrengend jedoch gut. Zusaetzlich habe ich angefangen Volleyball zu spielen. Neben dem Sport als koerperliche Betaetigung (jedoch NICHT Arbeit, sonder Freizeit), der mir definitiv fuer meine persoenliche Ausgeglichenheit gefehlt hat, lernte ich im Trainung schnell viele neue Leute kennen und wurde in die Volleyballgemeinschaft sowie in deren Freundeskreis intigriert. Es fuehrte soweit, dass ich mit der Mannschaft zu einer Begegnung nach Ibague fahren konnte.




Sonntag, 11. April 2010

Chevrolet - Chevere


Der Grossteil der Autos die auf kolumbianischen Strassen unterwegs sind ist von der Marke „Chevrolet“. So hat auch der Mann meiner Gastfamilie einen, die Besonderheit jedoch: Es handelt sich bei seinem Wagen um das Baujahr 1953. Auch wenn die meisten Autos, vor allem Lastenautos und LKW schon viele Jahre auf dem Buckel und Kilometer auf dem Zaehler haben, ist sein Auto eine echtes Liebhaberstueck. Gut gepflegt, rot lackiert und auf Gas umgeruestet.

An einem Samstag fuehren wir zwei dann das Tal des Rio Magdalena hinauf etwa eineinhalb Stunden zu seiner Finca. Alleine die Fahrt war schon ein Genuss.

Dort angekommen zeigte er mir die Rinderzucht und die Einfache Unterkunft seines Arbeiters und seiner Familie. Darauf mussten wir ans andere Ende seiner „Koppel“ fahren um dort die Tier zu zaehlen.

Ich muss im Auto wohl kurz eingenickt sein, denn ich traeumte, dass ich selber diesen sagenhaften Chevrolet ’53 ueber die Feldwege und anschliessend wie ein Cowboy der Neuzeit ueber die Weide bis hin zu den Tieren fahren durfte. Ein klasse Gefuehl!!

Da AFS uns untersagt jegliche motorisierte Fahrzeuge zu benutzen, war es nur gut, dass es ein Traum war ... ;)






Bis bald,

euer Julian

Das Ueberraschungsgespraech


Der im letzten Artikel erwaehnte Herr, Namens Royer, arbeitet fuer einen Radiosender in Girardot und lud mich deshalb fuer das Gespraech einfach ins „Funkhaus“ ein. Aus rein praktischen Gruenden dachte ich mir natuerlich, weil er da ja eh wegen seiner Arbeit ist. Sehr hoeflich wurde ich allen vorgestellt und er zeigte mir saemtliche Studios. Dann sollte ich mich noch in eine Art Gaestebuch eintragen, wobei ich mir auch weiter nichts gedacht habe. Der Sender will halt gerne wissen, wer hier so ein und ausgeht, war mein Gedanke. Das irgendetwas so verlaufen sollte wie ich es nie erwartet hatte kam mir dann ganz langsam in den Sinn als wir uns in ein kleines Studio mit zwei Mikrophonen begaben und der Techniker hinter der Glascheibe davon redete, dass er „bereit“ waere. Als Royer dann auch noch meinen kompletten Namen erfragte, Fragen aufschrieb die an mich gerichtet waren und mir das Mikrophon vor die Nase zog wurde es schliesslich auch mir klar. Unsicher fragte ich, ob den unser „Gespraech“ aufgenommen wuerde...

„Nein!! Wir machen das ganze live!!!“, antwortete Royer begeistert.

...

Es folgte ein den Umstaenden und meiner Vorbereitung entsprechendes wunderbar natuerliches Interview ueber meinen Freiwilligendienst, das Projekt und mein Leben hier in Kolumbien. Auf jeden Fall war es eine (ungewollt?) gute Art so jemandem wie mir, der noch nie im Radio gesprochen hat ein Live-Interview unterzujubeln vor dem ich, wissend, sicherlich unnoetig aufgeregt gewesen waere.

Viel Spass hat es in jedem Fall gemacht, auch wenn ich noch niemanden getroffen habe, der diesen Beitrag gehoert hat.

Ein weitere Beispiel zur spontanen, unvorhersehbaren und manchmal an entscheidender Kommunikation mangelnder, jedoch oft liebenswuerdigen kolumbianischen Art.

Montag, 15. März 2010

Wahltag und andere Kuriositaeten

Liebe Leser, Freunde, Familie, Bekannte,

eigentlich war ja ein anderer Artikel angekuendigt, doch dieser muss zunaechst einem viel aktuelleren Thema weichen, denn:

Gestern wurde gewaehlt!

Es ging um die Plaetze im Senat, Parlament und Kammer. Die Praesidentenwahl findet etwa in einem Monat statt. Es wird spannend, denn Uribe hat das Gesetzt NICHT veraendert um sich ein zweites Mal wieder waehlen zu lassen, sodass die Karten neu gemischt werden koennen.

Erzaehlenswert ist beispielsweise der Wahlkampf, der vor etwa einem Monat began. So chaotisch bunt wie sich das Leben hier abspielt, vor allem auf der Strasse, so war auch der Wahlkampf. Man konnte beobachten wie nach und nach immer mehr Waende weiss grundiert und ein Kandidatenname und die Partei aufgepinselt, teilweise sogar die Gesichter der Politiker aufgemalt wurden. Und das an allen Ecken, an Haeuser, Stromleitungspfosten, Mauerstuecken, etc. Noch heute sieht man die Preisliste des Wanderzirkus der letztes Jahr hier seine Vorstellungen gab an einer Hauswand, denn um das „Wegmachen“ kuemmert sich (erstmal) wohl keiner...

Des Weiteren wurde alles zugeklebt mit Wahlplakaten. Viele Autos und Motorraeder waren mit Plakaten und Aufklebern bedeckt, die meisten Taxis bekannten sich ebenfalls zu einer Meinung dessen politischen Vertreter sie als Aufkleber auf der Windschutz- und Heckscheibe haben. Am besten gefiehlen mir die Autos, die in ihren Kofferraum ein bis zwei RIESIGE Boxen reinstellten. Viel zu gross fuer das Auto und den Kofferraum sowieso weshalb auch alles festgezurrt werden muss um das ganze Auto herum um dann mit offener Klappe den ganzen Tag durch die Stadt zu fahren und die Menschen am Strassenrand sowie die Verkehrsteilnehmer (besonders den direkten Hintermann...) lautstark mit Musik, Reden und politischen Parolen zu beschallen. Ausserhalb der Wahlkampfzeit fahren diese Autos uebrigens auch durch die Gegend, machen Werbung fuer Geschaefte oder lassen einfach Radio laufen.

Irgendwie bin ich dann auch einmal auf einer politischen Infoveranstaltung gelandet.

Mit einer halben Stunde Verspaetung gings los. Mich hat es einigermassen gelangweilt, was der Vertreter der konservativen Partei erzaehlte. Das gute an der ganzen Sache war, dass es am Ende fuer alle braven Zuhoerer und potentielle Waehler gratis Tamal und Cola gab – gut das keiner wusste, dass ich eh nicht waehlen darf:)

Der Wahltag selber war ebenfalls sehr interessant mitzuerleben.

Zunaechst einmal muss ich von einem kolumbianischen Gesetz berichten, welches mich hier nach der „Kommunalwahl“ jetzt schon zum zweiten Mal ueberraschte und erstaunte. „Ley Seco“, „Trockenes Gesetzt“ ist das Schlagwort was soviel bedeutet, dass das ganze Wochenende einschliesslich dem Wahlsonntag KEIN ALKOHOL ausgeschenkt noch verkauft werden darf. Und zwar in GANZ Kolumbien! Am Freitag- und Samstagabend war die Stadt am Abend wie ausgestorben. Kein Leben auf der Strasse wie sonst ueblich, keine sich mit immer mehr Bierflaschen fuellenden Bartische, kaum Musik. (Irgendwoher ertoent hier halt immer ein flotter Merengue, ein emontionaler Vallenato oder jugentlicher Reaggaton...) An dieser Stelle sei einmal gesagt, dass zumindest hier in Girardot und ich vermute auch in anderen Staedten und Doerfern des selben heissen Klimas sehr viel Alkohol getrunken wird, hauptsaechlich Bier. Zur Mittagszeit sieht man vereinzelt die ersten Menschen draussen im Schatten in den unzaehligen kleinen und groesseren Bars, Kneipen, Baeckereien, Laeden, etc oder einfach vor ihrem Haus, ihrem Laden oder ihrer Werkstatt bei ihrem Bier sitzen. Abends fuellen sich diese Orte dann, genauso wie die Tische mit den geleerten Flaschen. An den Wochenenden geht es sogar schon Vormittags los, dass liegt aber auch zum Teil daran, dass an den Wochenenden viele Einwohner aus Bogota nach Girardot fahren um sich vom stressigen Grossstadtleben am Pool und eben beim Bier zu erholen und zu entspannen. Diese „Wochenendtouristen“ sind meistens aus der Oberschicht, viele haben ein Haus in einem der vielen abgeriegelten und durch Sicherheitsdienst bewachten Wohnsiedlungen (mit Schwimmbaedern, kuenstlichen Seen, eigenen Golfplaetzen, Supermaerkten; die groesste Siedlung von allen („Penhon“) sogar mit eigenem Krankenhaus!)

Diese „sorglose“ Welt, in der man mit einem Golfplatzwaegelchen von seinem vollklimatisierten Haus mit 3 Hausangestellten runter zum (kuenstlichen) See faehrt um eine Runde mit dem Jetski zu drehen steht im kompletten Gegensatz zu den Familien, die nicht „nein“ sagen (koennen!), wenn die 14-jaehrige Tochter mit einem 25-jaehrigen Mann zusammen ist und ihr erstes Kind erwartet. Das die Tochter einen Mann hat bedeutet naemlich, dass er fuer sie zu sorgen hat und es so die Familie vielleicht etwas leichter hat jeden Tag genug Essen zu besorgen und eventuell irgendwann mal sogar soviel Geld um eins oder zwei der vielen Kinder in die Schule zu schicken, sodass sie im Alter von 15 Jahren nicht als Hausangestellte beispielsweise in der „Penhon“ arbeiten muessen. Einen Vater gibt es naemlich nicht mehr, der wurde vom Militaer erschossen beim Versuch eine Mautstelle zu ueberfallen. Die Geldnot hat ihn zur Verzweiflung gebracht.

In dieser Beschreibung uebertreibe ich in keinster Weise oder denke mir etwas aus. Solche und viele andere Schicksale habe ich hier direkt kennengelernt oder davon erzaehlt bekommen. Oft sind es ausweglose Situationen und die Chance fuer die Kinder dieser Familien irgendwann aus dem Teufelskreis der Geldnot, der mangelnden Bildung, Arbeitslosigkeit, des Diebstahls, der Drogenabhaengigkeit, des Strassenlebens, der gesellschaftlichen Inakzeptanz, etc auszubrechen ist so gering.

Die „Limpieza Social“ (dt. „Soziale Saeuberung“) ist da meiner Meinung jedoch keine Loesung und eine der erschreckensten Tatsachen, die ich hier bisjetzt erfahren habe. In einem anderen Artikel dazu jedoch mehr.

Eigentlich ging in diesem Artikel naemlich um die Wahlen und das dazugehoerige Alkoholverbot, das dazu fuehrte, dass in den Supermaerkten die Alkoholregale mit Polizeiband abgesprerrt waren. Ein sehr amuesanter Anblick.

Der Grund fuer diese Regelung ist ein sicherheitstechnischer. Die Regierung hat Angst, dass der Alkohol die Gewaltbereitschaft steigert und es schneller zu Anschlaegen, mehr aber noch zu spontanen gewaltsamen Attacken von Waehlern aufgrund von politischen Meinungsunterschiedenen oder Boykott-Gedanken kommt.

Am Wahltag jedenfalls konnte man ab 8 Uhr morgens waehlen. Ich begleitete meine Familie und Freunde, hoffte, dass ich mit meinen Dokumenten wenigstens zum „gucken“ reingelassen werde. Je nach Art des Dokuments (Alter der Ausstellung?) mussten alle an ganz verschiedene Orte in der ganzen Stadt verteilt. Es war alles recht chaotisch und viele Menschen waren unterwegs. Kaum aus dem Auto ausgestiegen kamen direkt Parteimitlgieder an, die noch einmal versuchten ihm ihre Meinung aufzuschwatzen. Ich kam mir wieder vor wie auf einem Basar. Wahlplakate und Banner wurden geschwenkt, Praolen gerufen, dauernd wurden einem Kaertchen und Flyer in die Hand gedrueckt, T-Shirts wurden verschenkt, dazu gab es viele Versprechen der „Superkandidaten“ um die unschluessigen unter den Waehlern noch kurz vorm Betreten des Wahllokals zu beeinflussen. Doch diese Leute gibt es zu genuege. Viele Trafen ihre Entscheidung wirklich erst kurz vorher, gemaess diesem Dialog: „Ich glaub fuer den Senat waehle ich „en blanco“ (also „weiss“, wie Stimme enthalten).“ – „Was? Nein, schaumal. Waehl doch .... , der ist super, der macht .... und will ....!“ – „Nagut (schulternzucken), dann waehl ich den auch.“

Bis ganz an den Wahltisch und die Wahlboegen bin ich nicht gekommen, doch ich konnte die Prozedur mitverfolgen. Viel Gedraenge und „Wahlkabinen“ bei denen die Geheimhaltung nicht UNBEDINGT gewaehrleistet ist. Tomke Anna, die Freiwillige, mit der ich gemeinsam fuer die Stiftung „Fundacion Vida Nueva“ arbeite hatte mehr gleuck und kam bis an die Wahltische. Sie erzaehlte mir dann, dass man oeffentlich einen Wahlbogen seiner Partei anfordern muss auf dem auf der Rueckseite gross und bunt das Parteilogo aufgedruckt ist. Es ist also schon vorher fuer alle umstehende klar, welche Partei man waehlt, lediglich den Kandidaten darf man dann „geheim“ bestimmen...

Weitere „Schattenseiten“ erfuhren wir von der Gastmutter von Anna. Ihr Mann ist selbst Politiker, doch sie muss fuer eine andere Partei waehlen - gegen ihren Ehemann - da es ihr Chef so verlangt. Waehlt sie eigenstaendig, wartet schon jemand anderes auf ihren Arbeitsplatz, jemand der sich an die „Regeln“ gehalten hat... sie arbeitet uebrigens in einem Krankenhaus.

Viele Menschen waehlen lediglich fuer ein anstaendiges Mittagessen, dass sie von der Wahlkampanie an diesem Wahlsonntag bezahlt bekommen, sobald sie ihnen ihre Stimme geben. Diese beiden Beispiele zum Thema Wahlfreiheit...

Zum Abschluss ein Zitat, nachdem eine alte Frau auf ihrem Stuhl sitzten an uns vorbeigetragen wurde:

„Zur Wahl holen sie sie raus, ansonsten sind die Grossmuetter im Haus wie Moebelstuecke.“

Bis bald,

Julian

Sonntag, 7. März 2010

Wie geht es weiter - im Projekt

Jetzt wird es dann aber auch mal wieder Zeit etwas von meiner Arbeit hoeren zu lassen.
Das Gartenbauprojekt laeuft soweit, bis auf die Tatsache, dass ich die meiste Zeit alleine arbeite und die Arbeit mir deshalb von Zeit zu Zeit einfach ueber den Kopf steigt. Langweilig wird mir deshalb jedoch nie und zu sehen wir das eigene Gemuese und Obst gedeit, macht einen ebenfalls froh. Ausgesprochen gut ist die Ernte der Tomaten ausgefallen, schon ueber 150 Stueck konnten geerntet werden.





Des Weiteren gab es Salatgurken, verschiedene Kraeuter, Kohl, Oregano und Pfefferminze (Foto!).





Heran wachsen momentan Paprika- sowie Chilischoten, „Noni“, Maracuya und Lulu, eine koestliche Frucht fuer die Zubereitung von Saft, typisch kolumbianisch.


Da es zwecklos ist, die Obdachlosen des Heims zur regelmaessigen Arbeit auf dem Feld zu animieren, genauso wie die Frauen des Viertels, haben wir die Projektausrichtung etwas veraendert.

Das Feld, sowie es bereits aufgebaut wurde mit seiner staedtischen Landwirtschaft bleibt erhalten und produziert weiterhin fuer die Kueche des Heimes. Des Weiteren dient es uns als Testfeld auf dem wir experimentieren, welche Pflanzen unter welchen Bedingungen gut gedeien und Fruechte hervorbringen.

Mit dem gelernten Wissen und der Erfahrung fangen wir jetzt an Beete in den Hauesern des Armenviertels anzulegen um die Familien bei der selbstversorgung zu unterstuetzen. Das Ziel ist es, dass sich die Menschen aneignen regelmaessig und organisiert ihr eigentes Gemuese anzupflanzen um Geld einzusparen und sich selbstversorgerisch (zumindest zum Teil) die Ernaehrung zu sichern. Bei den noetigen Materialien sowie mit der Begleitung und Betreuung (Regelmaessig Besuche und Tipps à der mobile Gaertner;) )jedes Beetes durch unsere Praxiserfahrung unterstuetzen wir die Familien dann. Die Gegenleistung ist, dass die Haelfte der Erzeugnisse dann in die Kueche der Stiftung geht fuer die Obdachlosen, der eigentliche Ursprung des Ganzen.

Das waere neben dem Pflanzgarten, das zweite Teilprojekt.

Das dritte Teilprojekt haben wir auch erst vor kurzem begonnen. Es geht um „Arboles Nativos“, also Baeume, die ihren Ursprung in dieser Region Kolumbiens haben. Ein grosses Problem ist naemlich, dass in den Staedten, so auch in Girardot, groesstenteils eine Baumsorte gepflanzt wird, die nicht einmal Suedamerikansicher Herkunft ist, sonder asiatischen Ursprung hat. Eine Modeerscheinung, die sich durchgesetzt hat, doch dieser Baum ist nicht sehr resistent und zerstoert die Erhaltung nativer Pflanzenarten.

Aus diesem Grund hat sich eine Gruppe „Ambimentalisten“ zusammengefunden, unter anderem mein Wanderfreund Guillermo, die von nun an mit der Fundacion Vida Nueva zusammenarbeitet und mit mir auf dem Feld verschiedene native Baeume grosszieht um diese dann zu verkaufen oder zu verschenken um so einen Teil der Kultur aus oekologischer Sicht zu bewahren.



Die Samen sammeln wir in den Waeldern und Bergen rund um Girardot unter anderem waehren unserer Wanderungen. So wird eine meiner Freizeitbeschaeftigungen jetzt sogar Teil meiner Arbeit, ausserdem haben ich Unterstuetzung auf dem Feld.

So kam es, dass an einem Sonntag, organsisiert von Guillermo, eine disziplinierte Gruppe Pfadfinder auf dem Feld aufkreuzten und den ganzen Tag ueber tuechtig halfen Erde zu filtern, zu mischen und in Plastikbeutel zu fuellen. Die Arbeit war in ihrem (oekologischen) Sinne, denn an diesem Tag wurde der Anfang fuer das „Vivero, Arboles Nativos“ gemacht und wir konnten ueber 200 Baueme saeen. Auch in Zukunft ist geplant, dass regelmaessig eine Gruppe von Pfadfindern auf dem Feld mithilft, bei der Pflanzung der Baueme sowie auch in den anderen Teilprojekten.





Der Gruppenfuehrer interessierte sich sehr fuer den Freiwilligendienst, den ich mache und lud mich auf ein „Gespraech“ ein, um mehr ueber mich und meine Arbeit zu erfahren.


Was es mit diesem Gespraech besonderes auf sich hatte, erfahrt ihr im naechsten Artikel.

Sonntag, 10. Januar 2010

Lebenszeichen

Nach langer "Winter"pause melde ich mich zurueck!
Von einem WinterSCHLAF kann nach diesem aufregendem, erlebnissreichen Dezember jedoch nicht die Rede sein, denn sehr viel ist geschehen.

Los ging es gleich am ersten Dezember in den...

Amazonas


Liebe LeserInnen,
bei einem schoenen Telephonat mit meinen Eltern, die mich fuer sagenhafte 5 Cent pro Minute aus Deutschland hier auf mein Kolumbianisches Handy (!) anrufen konnten wurde mir klar, dass es auch mal wieder an der Zeit waere meinen Blog zu aktualisieren. Es folgt der Artikel ueber meine/unsere Reise in das kolumbianische Amazonasgebiet sowie die benachbarten Laender Brasilien und Peru. Viel Freude beim Lesen!

AMAZONAS

Die 5 Taegige Reise wurde von AFS/Colombia organisiert und angeboten und fast alle der Freiwilligen, die in diesem Jahr in Kolumbien arbeiten sowie Austauschschueler aus Deutschland fuhren mit. Es sollten 5 spannende Tage Abenteuerurlaub im Amazonasregenwald auf uns zukommen am suedoestlichsten Zipfel Kolumbiens direkt am Rio Amazonas.


Von Bogota aus ging es mit dem Flieger nach Leticia. Den sagenhaften Landeanflug ueber dem endlosen gruenen Urwaldmeer kann man sich bei youtube
unter folgendem Link anschauen:




Am Flughafen angekommen traf uns erst einmal ein Hitzeschwall, dem wohl noch am besten wir Girardotenhos (Tomke und Ich, die wir auch sonst in der Mittagssonne (und im Schatten) mit 40 Grad Celsius und mehr zu kaempfen haben) gewapnet waren. Die enorm hohe Luftfeuchtigkeit machte jedoch uns allen zu schaffen, dennoch waren wir gut gelaunt und freuten uns auf einen Urlaub, besser gesagt eine Erlebnisstour an diesem exotischen Ort, den selbst viele Kolumbianer nicht bereist haben.


Kaum angekommen in Leticia wurden wir gleich zum sehr ueberschaubaren Hafen dieser Hauptstadt des Departements "Amazonas" gefahren und dort samt Gepaeck "verschifft".




Mit einem Schnellboot, welches uns waehrend der gesamten 5 Tage wie ein Reisebus diente ging es ueber einen Seitenarm des Rio Amazonas direkt auf den grossen Fluss.


Unsere Transportgesellschaft.



Das gesamte Ausmass/die Breite dieses riesigen Flusses kann man gar nicht einsehen, da es sich in den meisten Faellen um eine riesige langgezogene Flussinsel handelt, was man fuer das gegenueberliegende Ufer haelt.


Abendstimmung am Rio Amazonas:



Die 5 Tage verbrachten wir mit den unterschiedlichsten Aktivitaeten und uebernachteten an 3 verschiedene Orten. Als Transportmittel diente stets das Boot. Die Fotos liegen mir hier nicht in der Reihenfolge vor, wie sie geschossen wurden, vondaher loese ich mich bei der Berichterstattung von der Chronologie und beschreibe einfach die einzelnen Aktivitaeten.


Den Hoehepunkt unserer Reise stellte wohl der Besuch eines Nationalparks dar. Es begann mit einer Wanderung durch einen sehr feuchten Teil des Urwaldes bei dem wir alle dankbar fuer unsere Gummistifel waren. Jedes Mal wenn der Fluss ansteigt findet ein Austausch zwischen der Tier-und Wasserwelt des Landes und der des Wassers statt. Das feucht-heisse Klima, die Vielfalt der Pflanzen, die Geraeuschkulisse vieler unbekannter Tiere, meist Vogelarten, das Geschrei von Affen in der Ferne und der fremde Geruch machten diese und andere Maersche durch den Regenwald jedes Mal zu einer abenteuerlichen und aufregenden neuen Erfahrung.




Nach einer guten Stunde waren wir am Ziel und es tat sich uns ein sagenhafter Ort auf, wie ich ihn nicht in Worten beschreiben vermag. Aus der Dunkelheit des feuchten, dichten Waldes kamen wir an eine Lichtung mit hohen Palmen und einigen Holzbauten. Die Sonne strahlte uns ins Gesicht. Vom Schweiss durchnaesst und durch den Marsch erschoepft naeherten wir uns unserer Unterkunft am wohl exotischsten Ort, den ich je gesehen habe. Papageien begruessten uns. Es war wie ein Traum.

Und die absolute Kroenung des ganzen war die grosse Holzterasse, idylisch gelegen an einem See mitten im Urwald. Liegestuehle und Haengematten baten Gelegenheit sich niederzulassen, zu entspannen und diesen friedlichen Ort und seine Ruhe zu geniessen.






An diesem Ort der Ruhe und Abgeschiedenheit kam mir die Atmosphaere sehr nahe der eines "Lokus Amoenus", wie wir ihn damals im Lateinunterricht beschreiben und zeichnen sollten.








Unsere Zeit konnten wir in den folgenden Stunden weitgehend selber gestalten.Viele nutzten die Gelegenheit um mit einfachen Angelruten auf Piranha-Jagd zu gehen. In dieser nahezu unberuehrten Natur sind die Fische noch sehr "vertrauensselig", sodass man mit einem einfach Stock, etwas Nylon, einem Haken und Kuechenresten schon erfolgreich sein kann. So auch Florian, der uns am naechsten Morgen ein Prachtexemplar von Piranha in den Einbaum holte. Zaehneknirschen hat der Fisch noch versucht den Haken durchzubeissen, gottseidank ohne Erfolg, denn auf einen wuetenden Piranha in diesen Nussschalen verzichte ich gerne. Diese Tiere mit ihrer starken Kiefermuskulatur haben, wie wir am erlegten Fang feststellen konnten, viele kleine, jedoch messerscharfe Zaehne.
Wir wurden aber beruhigt, dass uns nichts passieren wuerde im See zu schwimmen, da die Piranhas lediglich auf Blut reagieren und einen Menschen deshalb angreifen koennten. Trotzdem blieb das mulmige Gefuehl seine Hand ueber den Kanurand ins truebe Wasser zu halten.


Jetzt war ich schon beim naechsten Morgen, ohne von der Nacht erzaehlt zu haben. Diese bot uns naemlich noch einen weiteren Hoehepunkt: Die naechtliche Suche nach Kaimanen. Der See ist bekannt dafuer, dass in den fruehen Abendstunden diese fuer Suedamerika bekannte Krokodilart zu ihrer Futtersuche aus ihren Verstecken kommt. Wir machten uns also mit den Einbaeumen und jeweils einem Fuehrer mit einer Lampe am Bug auf um geraeuschlos in voelliger Dunkelheit das Ufer abzufahren. Der Fueher leuchtete die Wasserkante ab. Die Idee war es, beim Erblicken eines Tieres sich zu naehern und wenn es moeglich ist (bei kleinen Tieren), den Kaimanen an Bord zu holen. Alle waren mucksmaeuschenstill und suchten am Ufer nach rot-gelb leuchtenden Punkten. So wuerden naemlich die Augen das Taschenlampenlicht reflektieren, wurde uns gesagt. Es herrschte Spannung in der Luft, keiner wusste was uns erwartete. Niemand wagte laut zu atmen. Dann sahen wir sie in der Ferne, zwei gluehend-rote leuchtende Augen. Wir naeherten uns, doch die Augen verschwanden wieder. So geschah es noch ein paar Male. Zunaechst etwas enttauscht, aber irgendwo auch erleichtert und froh kehrten wir zum Anlegesteg zurueck. Was wir grade erlebt haben war allemal einmalig und unvergesslich. Niemals war die gesamte Gruppe zu ruhig gewesen. Auch wenn wir "lediglich" aus der Ferne die Augen eines Kaimans entdeckt haben, viel beeindruckender war es, mitten in der Nacht die Atmosphaere des Urwaldes zu spueren. Die maechtige Geraeuschkulisse der Tiere, die einen fuehlen liess, dass man sich in IHRER Welt befindet.
Die restliche Nacht verbrachten wir dann auf der "sicheren" Holzterasse bevor wir uns dann in die Haengematten unter freiem Himmel (MIT Mueckennetz - die Tierwelt ist maechtig und unerbittlich) mit den vielen neuen Eindruecken und Erlebnissen schlafen legten.



An einem anderen Tag fuhren wir mit dem Boot einen Seitenarm des Rio hinauf und gelangten an eine Art See. Was uns hier erwarten sollte waren die beruehmten ROSA FLUSSDELPHINE.
Wir mussten uns nur ein Weilchen gedulden bis sie zum Vorschein kamen. Unser Boot umkreisend tauchte ab und zu mal einer auf und zeigte uns seinen rosafarbenen Ruecken. Der Koerper des rosafarbenen Suesswasserdelphins ist jedoch anders gebaut, sodass sie im Vergleich zu den grauen Delphinen nicht weit aus dem Wasser hinauskommen geschweige denn springen koennten. Die Farbe ist auch kein grelles Schweinchenrosa, sondern ein recht truebes, graues Rosa. Es war dennoch ein klasse Erlebniss. Fotos gibt es keine, die kann man aber auch leicht im Internet finden.
Als wir uns dann genug hatten von den rosa Delphinen gingen wir weisse Europaer dann selber schwimmen. Gemeinsam mit den Piranhas und Zitteraalen. Fuer viele kolumbianer gewiss ebenfalls eine Attraktion;)




Eine weiteres Erlebniss war der Besuch einer indigenen Gemeinde, die Kunsthandwerk betreibt. Im folgenden Bild wurde uns vorgefuehrt wie man aus der Rinde eines Baumes eine Art Papier fertigen kann, welches im Anschluss mit selbst hergestellter Naturfarbe bemalt wird. Dann waren wir selbst an der Reihe.


Es folgte ein kleiner Schnellsprachkurs der indigenen Sprache und eine Tanzvorfuehrung in dessen Anschluss die fuer den Tanz kostuemierte Frau auf dem folgenden Bild Spenden sammelt.


Auch lernten wir die Hausschlange kennen, eine Boa Constrictor:


Des Weiteren wurde uns (nicht alles an dem selben Tag und in der selben indigenen Gemeinde) gezeigt, wie man die typischen Armbaender herstellt. Im Anschluss hatten wir noch die Moeglichkeit uns auf dem Kunsthanderksmarkt umzusehen und Andenken/Geschenke/etc. zu kaufen. Feinste Holzfiguren, Schmuck, Blasrohre, Musikinstrumente, Pfeifen, etc. zu Preisen, die man sich in Deutschland/Europa fuer derartig exotische, handgemachte Kunsthanderksware dirkekt aus dem Amazonas nur ertraeumen kann. Durch unseren Kauf DIREKT vor Ort (auch nicht beispielsweise in Leticia, wo schon wieder ein Zwischen- oder Grosshaendler im Spiel ist) unterstuetzten wir somit auch die Gemeinde direkt, welche von dem Verkauf lebt.

Zu guter Letzt lernten wir noch das Blasrohr- und Bogenschiessen von einem Bewohner der Gemeinde. Als Dank und zum Abschied uebergab unser Reisefuehrer einige Spiele, Buntstifte und Hefte fuer die oertliche Schule. Die Geschenke wurden mit Begeisterung angenommen wie die sofortige, tumultartige Ansammlung der Dorfkinder auf dem folgenden Foto zeigt.



Der Eindruck, den die Gemeinden hinterliessen, ist ein sehr aermlicher jedoch ausgesprochen friedlicher. Auch wenn noch an alten Ritualen uind Braeuchen festgehalten wird, ist dennoch bemerkbar, dass auch hier eine "Verwestlichung" stattfindet und viele Kulturgueter nur noch zum touristischen Zwecke gebraucht werden.


Der vom Programm her wohl vollste Tag mit der meisten Aktivitaet begann mit einem "Besuch" der Affen. Mit einer kleinen Gruppe kamen wir in einem Waldstueck an, dass verschiedene Affen bewohnten. Einer von ihnen wartete schon auf uns und fuehrte ging vorran durch den Urwald um uns zu ihrem Platz zu fuehren.


Die Affen sind freilebend, jedoch in einer Art Rehabilitation. Die meisten Tiere kommen naemlich aus Familien in denen sie als Haustiere schlecht behandelt bis misshandelt wurden und von einer Tierschutzorganisation hierhergebracht wurden. Die Mitarbeiter dieses Nationalparkes haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Affen "aufzunehmen" und psychisch zu heilen. Aus diesem Grunde wirkten viele der Affen sehr aengstlich und etwas gestoert, waren jedoch groesstenteils an Menschen gewoehnt. So konnten sie sich auch an uns schnell gewoehnen, waren an allem interessiert, was wir bei uns hatten und wurden schnell anhaenglich...



Ein fast schon unwirkliches Erlebniss, aber wirklich interessant, ausgesprochen lustig und unterhaltsam:)


Den zweiten Teil des Tages ging es dann hoch hinaus!


Zu den hoechsten Baeumen des Regenwaldes (in diesem Teil) gehoert der "Seiva", der eine Hoehe bis zu 50 Metern erreicht. Auf dem folgenden Bild sieht man Den Stamm und Teile der ueberirdischen Wurzelmassen.


Gut ausgereustet war fuer uns dann Klettern auf dem Programm! Zwei "Seivas" wurden zu einer Art Klettergarten umfunktioniert. 35 Metern ging es an zwei Seilen hoch in die Krone eines solchen Riesen.
Wie die Affen...






(Eric und Lars)



Oben angekommen bat sich uns eine unglaublicha Aussicht ueber den Wipfeln der meisten anderen Baeume auf das sattgruene Urwaldmeer.








Ueber die Leiter haette man ebenfalls den Baum erklimmen koennen.


Gut gesichert (wie die Hunde an der Leine) haben wir es geschafft. Dann ging es ueber eine Haengebruecke zu einem weiteren Baum dieser Art unnd Groesse von dem wir uns dann abseilen konnten.





Die verschiedensten Aktivitaeten und Erlebnisse, die wir in diesen Tagen im Urwald machen konnten haben jeden einzelnen von uns beeindruckt. Stets wurde von der Reiseleitung Ruecksicht auf die Natur genommen indem wir im Urwald nur in Kleingruppen unterwegs waren und uns vieles ueber den Wald und seine reichhaltige aber durch den Menschen bedrohte Tier und Pflanzenwelt erzaehlt und gelehrt wurde. Kommentare wie: "Nicht lange hier stehen bleiben, da oben im Baum schlaeft ein "tigrillo" lateinamerikan. Ozelot/Leopard" oder die Umsichtige Begegnung mit Giftschlangen waren dann eher zu UNSERER Sicherheit;)


Wie schon gesagt, viele Kolumbianer haben persoenlich den Amazonas nie besucht zum einen, da die Reise (nur moeglich mit Flugzeug/Boot) sehr aufwaendig und teuer ist, zum anderen aber auch, weil die Interesse fuer dieses "Abenteuer" mit Schlangen, Spinnen, Moskitos, Kaimanen, Leoparden, etc nicht unbedingt jedermanns Sache ist.
Fuer mich gab es bisher kein Eerlebniss, dass spannender, interessanter und ausgefallener war als diese Reise. Natur wie noch nie mitten in der "Lunge des Planeten Erde"!



Den letzten Tag/Nacht vor unserem Rueckflug verbrachten wir in dem friedlichen (Haupt)Staedtchen Leticia. Wir machten einen kleinen Ausflug nach Tabatinga, die Nachbarstadt von Leticia die schon zu Brasilien gehoert. Den Grenzuebergang bemerkt man nur an einem Denkmal sowie einem froehlichen Willkommensbanner. Grenzkontrollen gibt es keine, denn sowohl aus Leticia als auch aus Tabatinga kommt man nur mit dem Boot oder per Flugzeug weg, wo es dann genug Kontrollen gibt. (Unter anderem wurden wir bei der Einreise gefilmt...)


Der Rio Amazonas, Brasilien



Abreise





Adios, pulmon del mundo.


Das wars, vielen Dank fuers Lesen.
Fragen zu dem Erlebten oder zum Amazonas beanworte ich IMMER gerne!! :)