Montag, 26. Oktober 2009

Raubueberfall

Mein erster (und hoffentlich letzter) Raubueberfall: Tomke, die andere Freiwillige, die im gleichen Projekt arbeitet, und ich waren am Sonntagabend zu Fuss auf dem Weg vom Stadtzentrum nach Hause. Wir waren fast an ihrem Haus angekommen und konnten schon die Leute sehen, die in der Strasse vor ihren Haeusern sassen, keine 100 Meter enfernt.
An einer etwas dunkleren Strassenecke passierte es dann: Ein Motorrad mit zwei dunkel gekleideten Maennern kam ploetzlich wie aus dem nichts von hinten, ueberholte uns und schnitt uns den Weg ab. Einer der Maenner richtete eine Pistole auf uns, mit dem Ruecken zu den Leuten in der Strasse. Es ging alles sehr schnell und ich war ziemlich geschockt,so dass ich einfach keine Kontrolle ueber mich hatte. Blitzschnell haben uns die Maenner abgetastet, mir mein Handy aus der Hosentasche geraubt und mir meine Umhaengetasche abgenommen. Staendig die Waffe auf Kopf und Koerper gerichtet. Ich habe mich weder gewehrt noch geschriehen, auch Tomke nicht, sie hatte sich jedoch etwas gewehrt, als der unbewaffnete Mann ihr das Handy abnehmen wollte. Ich meinte sie soll alles hergeben, da ich nur die Waffe vor Augen hatte. Tomke hat sich geweigert ihr Handy herzugeben und fing an sich zu wehren, bis eine Sirene losging. Einer Nachbarin hatte den Vorfall bemerkt. „Tomke, gib einfach alles hier!" Das war das einzige was ich sagen konnte. Ich hatte enormen Respekt vor der Waffe und habe das Gefuehl gehabt, dass sie jeden Moment auf uns schiessen, als Tomke nicht nachgab. Ich habe mich danach zunaechst schlecht gefuehlt, da ich einfach nichts unternommen habe, doch irgendwann wurde mir klar, dass es das beste war. Ich war sehr veraergert ueber die gestohlenen Sachen, doch man kann nie wissen zu was solche Menschen faehig sind, ob ihnen das Leben oder das Wohlergehen anderer fuer Geld und Wertsachen ueberhaupt etwas Wert ist. Sie haben mir das Handy aus der Tasche und meinen Beutel geklaut. In dem war meine Kamera+Speicherkarte, Kleingeld, die Creditkarte und ca. 100 Euro Bargeld von Anna (wir waren vorher noch am Bankautomaten,w as natuerlich daemlich war…), mein Worterbuch und ein kleines Buch in das ich alle moeglichen Sachen hineinschreibe. Ueber das Buch bin ich glaube ich am traurigsten. Es ist ein grosser individueller Wert. Es befanden sich dort neue Vokalbeln, Eindruecke, Skizzen von Strassenecken mit wichtigen Laeden, Telephonnummern und Adressen, Namen und Erinnerungen. Alles der letzten 2 Wochen (davor hatte ich ein anderes Buch). Auch bin ich frustriert ueber den Verlust von vielen Fotos, vor allem von Bildern der Feldes und der Arbeit, die ich angefangen habe zu sammeln fuer eine Praesentation ueber die Entwicklung des Projekts, die ich am Ende des Jahres vofuehren soll. Trotz allem kann man jetzt kaum mehr was an den Verlusten aendern und ich bin froh, dass wir nicht irgendwie verletzt wurden. „Die materiellen Dinge kann man (meistens) ersetzten, das Leben nicht", das haben uns auch viele Leute danach gesagt.
Erst nach dem das Mottarrad weggefahren war kamen langsam Leute aus der Nachbarschaft zu uns und fragten was passiert war. Es sassen ja sogar waehrend das Ueberfalls Leute vor ihrem Haus, nicht weit enternt, doch keiner begriff, das wir ueberfallen wurden…es war schwer das zu verstehen und mich nervten diese Leute in dem Augenblick einfach nur, die nichts unternommen hatten und jetzt angelaufen kamen um sich (schaulustig) zu erkundigen was den los war.
Leider hatte der Ueberfall auch noch zur Folge, dass meine Mutter und vor allem Felipe zwar zunaechst etwas erschrocken aber beinahe zufrieden erschienen, als ich ihnen davon erzaehlte. Wir waren naemlich wegen der Geschichte mit Cesar immer noch etwas im Konflikt, jedoch unausgesprochen, da es mit keinem von beiden moelgich ist ordentlich zu diskutieren. Ich wusste es genau wie sie auf die Geschichte reagieren wurden und sie haben es tatsaechlich geschafft, dass ich "Angst" davor hatte, es ihnen zu erzaehlen. Ich scheute mich davor nach Hause zu kommen wie ein Junge,der etwas augefressen hat, obwohl ich grade das erste Mal in meinem Leben von einer Waffe bedroht wurde und meine Leben gewissermassen in Gefahr war. Was ich in dem Moment eigentlich gebracuht haette war ein bisschen Mitgefuehl, doch das gab es nicht. Es hiess nur "Weisst du noch, was wir dir immer gesagt haben?" , "Wir haben dich ja gewarnt" , "Und, hattest du deine Trillerpfeife dabei?" und ich sah in selbstgefaellige, rechthaberische Gesichter. Es war grauenhaft. Ich versuchte noch mich dagegen zu wehren und Einspruch zu erheben, doch ihre Meinung war absolut festgefahren. Spaeter wurde einfach nur noch sachlich darueber geredet und andere Ueberfallgeschichten wurden erzaehlt. Wie es mir geht wurde nicht mehr gefragt. Ich ging ins Bett und malte mir aus, was man haette alles machen koennen, was aber auch alles noch haette schlimmeres passieren koennen, waehrend man sich zur Wehr setzt. Mit wirren Gedanken und gemischten Gefuehlen schlief ich ein. Auch am naechsten Tag fuehlte ich mich nicht besser. Es war kein klar zu definierendes Gefuehl und auch kein sehr ausgepraegtes. Es lag wahrscheinlich daran, dass keiner auf mein Gefuehl hier eingegangen ist. Ich hatte unterschwellige Angst und war sehr verwirrt ueber das was passiert ist. "Ich bin ueberfallen worden und mir wurde eine Waffe an den Kopf gehalten!!", dachte ich mir immer wieder panisch, doch im gleichen Moment verschwand dieses Gerfuehl wieder in der Tiefe und wurde verdraengt durch irgendetwas total nuechternes, was meine Mutter mir sagte wie z.B. "musst du heute gar nicht zur Arbeit?" Auch der Aerger darueber , dass meine Mutter jetzt auch noch einen guten Grund hat, mir gewisse Dinge zu verbieten und mich womoeglich "einsperren" koennte aergerte mich, lenkte mich aber gleichzeitig auch irgendwo ab. Trotzdem steckte noch Panik tief in mir drin, ich fuehlte mich unterschwellig sehr mies. Es war ein betaeubendes Gefuehl, ueber das ich mit keinem reden konnte um es evtl loszuwerden.
Man kann jetzt auch nicht sagen, dass man hier jeden Tag Gefahr lauft erschossen zu werden! Normalerweise passiert so etwas sehr selten. Es kamen viele Faktoren zusammen: Es waren grad die Festtage in Girardot (siehe dazu: „Festival de Turismo") fuer die superviele Touristen in die Stadt gekommen sind und mit den supervielen Touristen auch viele Raeuber und Diebe, die tatsaechlich zu Festtagen in verschiedene Staedte fahren, da dort Menschenmassen und unaufmerksmae Touristen mit viel Geld eine einfach Beute darstellen. Ausserdem waren wir mit unserer Statur und Haarfarbe sehr auffaellig und stellten Touristen mit noch mehr Geld dar als die meisten, da (so wird es ja staendig angenommen) aus den Vereinigten Staaten UND wir waren "relative" spaet unterwegs auf einem kleinem Strassenstueck, dass die Bewohner der Viertels, auch wenn es das Reichenviertel ist, stets meiden. Das wussten wir natuerlich nicht und hatten noch nicht den noetigen Blick fuer einsame, gefahrlich Ecken, zumal wir von der Stelle des Ueberfalls schon die Leute vor Tomkes Haus in 100 Meter Entfernung haben sitzten sehen. Da denkt man doch, man ist so gut wie sicher…
Ich lenkte mich also am Vormittag damit ab Gitarre zu ueben und zu zeichnen. Ich hatte mir in den letzten Wochen Bleistifte gekauft, bin aber noch nciht viel dazu gekommen. Ich zeichnete den Revolver, das einzige an das ich mich bildlich errinern konnte. Ich habe kein Bild von den Gesichtern, der Kleidung oder dem Motorrad vor Augen, doch den Revolver konnte ich, obwohl ich eigentlich gar nicht weiss, wie die aussehen, realistisch darstellen.
Irgendwann fuhren wir in so ein Office zur Meldung gestohlener Dinge. Da der Montag jedoch Feiertag war befand sich dort nur wenig Belegschaft. Und dieses geringe Personal hatte alle Haende voll zu tun mit den Opfern der vergangenen Nacht. Es war die letzte Nacht des mehrtaegigen "Festival de Turismo" und es gab mehrere Tote im Strassenverkehr. Mit Alkohol am Steuer nimmt man es naemlich hier ueberhaupt nicht ernst…
Wir fuhren also wieder nach Hause und ich fuehr nach dem Mittagesen zur Arbeit. Das war euch etwas frustrierend, da wir mal wieder keine anderer ausser mir und einer Senora (Emma) da war. Und ich habe die Verantortung aufgetragen gekriegt mich darum zu kuemmern, dass das mit der Gruppenartbeit klappt. Es setzte mich also total unter Druck, dass keiner da war, wofuer ich verantwortlich war, dass ich nicht wusste was wir als naechstes machen, da ich naemlich keine Ahnung habe, wann beispielsweise die Pflanzen umgetopft werden (ich habe zwar Leute, die ich anrufen kann, doch ich es ist schwer das Gaertnerwissen mit seinem schwierigen Vokabular uebers Telephon zu vermitteln) und dass ich mich komplett neu organisieren muss, da ich keine einzige Telephonnummer mehr habe. Ich konnte also auch der Senora Emma nicht sagen, was wir machen koennen, was sie jedoch von mir erwartete… auch beschweren sich die anderen, wenn sie kommen, dass sie so gut wie alleine sind und das die Organisation schlecht ist und das das Projekt den Bach runter geht und so weiter und so fort… aber am Samstag werden wir uns alle treffen und das ganze besprechen, ich hoffe danach lauft der Laden etwas besser.

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